Volkstrauertag
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Prantls Blick: Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen - Politik
Eine große Zustimmungsfähigkeit und Überschneidung hat mich überrascht, so von vergleichbarem Erleben in jungen Jahren vor dem imponierenden Kriegerdenkmal mit dem Fahnenjunker, von der tödlichen Kugel getroffen, weitere Heldengesichter in Stein gehauen, in großer Entschlossenheit, hier Handgranate in der Hand, da im Stiefel! Übertragungsgefühle, die den Gedanken an Selbstbewährung aufkommen lassen. Die Ansprache an eine überschaubare Gruppe, übliche Gedenkworte. Auch dass das mit Hitler nicht in Ordnung gewesen sei. Mehr ist bei mir nicht zurückgeblieben. Die Blaskapelle dann mit einem Tschingderassabum und auch das Trompetenstück vom „guten Kameraden“, das ich auch im häuslichen Kreis viele Male auf der Mundharmonika zum Besten gegeben habe, eben stolz darauf, einige Stücke spielen zu können. Erst in der Zeit nach dem Film „Familie Weiß“ ist mir das Lied vom „guten Kameraden“ von den Fronterzählungen kritisch ins Bewusstsein gekommen. Nicht von der Shoah und den Erschießungskommandos her, nein, von dem, was „Kameradenschweinerei“ geheißen werden kann, die da verdrängt wird, was besonders in den letzten Kriegstagen um sich gegriffen hat: Meldung machen und denunzieren, sich der Nächste sein und je nach Lage entscheiden, den Gnadenschuss geben oder verrecken lassen. „Mann, der will abhauen!“ Und abgeknallt, aufgeknüpft oder standrechtlich erschossen zu werden, darin zum Mitmachen eingebunden zu sein, das ist nicht so selten durch die guten Kameraden passiert, sofern die Erzählenden sich nicht nur mit dem selbst „Erlebthaben“ wichtigmachen wollten. Was guter Kamerad heißt und unangefochten auf dem Heiligensockel steht, wird nicht selten auch ein „böser Kamerad“ gewesen sein. Das empfiehlt sich nicht, es auch für die Vereidigung auf Wehrhaftigkeit einfließen zu lassen. Die musikalische Mär stimmt einfach nicht, so suggestiv, dass im Krieg der gute Kamerad und gute Kameradschaft auf einen wartet und auch noch vom Krieg hervorgebracht wird.
Diese Erinnerung ist nicht mein Punkt, der mich an den Laptop gebracht hat. Ich kann Heribert Prantls Blick auf den Volkstrauertag in der Darlegung teilen, insbesondere was dem Unerfahrenen die Süße des Krieges scheint, nämlich dem Feindwesen mit der Stärke und Entschlossenheit des heiligen Ernstes entgegenzutreten und den Feind wie „Rambo“ zu besiegen, o ja, der Feind zu häufig ein Feindwesen seiner selbst, eine Selbstprojektion von sich auf andere. Sprüche, die der Kriegspropaganda in die Hand gespielt haben und an den Güterwaggons gestanden haben und zum Spaziergang nach Paris eingeladen haben, sie finden sich in Geschichtsbüchern wieder, tauchen in den Gedenkreden nicht mehr auf, denn sie konterkarieren das Pathos, die Würde der Frontkämpfer, passen sie doch vom Übermut, von der Einfältigkeit und Verbohrtheit nicht zum tragischen Schicksal und einem beschworenen Heldentum. Vergleichbar passen auch heute noch nicht Deserteure aus Überzeugung ins Bild, sie zu erinnern und ihnen Ehre zu erweisen. Ihnen haftet der Gedanke des Verrats an, als sei durch die Einberufung auch die Teilnahme an einem verbrecherischen Krieg Pflicht, die schwerer wiege als Sichentziehen, Aufdeckung und Widerstand und nicht wenige weigern sich umgekehrt, gar einer Verbrecherkameradschaft erlegen gewesen zu sein, ihr angehört zu haben und man pfeift auf das christliche Menschenbild des Abendlandes. Es hat Augustinus die Staaten nicht aus der Verantwortung entlassen. Ohne den Prüfstein statthabender Gerechtigkeit seien sie nichts anderes als organisierte Räuberbanden und so auch zu bewerten. Er fordert gegen die „civitas terrena“ die „civitas dei“ ein, setzt einen höheren Anspruch für das Zusammenleben im Staat und unter den Staaten. Das Weltliche wird am Göttlichen gemessen, am Maßstab der Gerechtigkeit. Den gerechten Krieg haben wir hinter uns, auch das geringere Übel, als Ultima Ratio argumentiert. Und ganz zu christlich soll es auch nicht werden, die andere Wange hinzuhalten. Und die Organisation des gewaltlosen Widerstands, waffenlos zwischen den Fronten, wird im Gestus abgetan, sich doch bitte auf den Geisteszustand untersuchen zu lassen. In der polypolaren Welt der Atommächte ist das gerade die Frage, wer sich auf den Geisteszustand untersuchen lassen muss. Ein verbrecherisches Regime hat es mit dem II. Weltkrieg auf 60 Mill. Tote gebracht. Bleiben wir in der Logik der Kriegsentwicklung, die von der Kainskeule auf heute mit der Atomkeule zuschlagen kann, stellt sich die Frage, wie wir mit einer Schätzzahl von 300 bis 500 Millionen Toten bei einer Erdbevölkerung von 7 bis 8 Milliarden umgehen? Welche Gründe vermöchten zu rechtfertigen, mit der weiteren Erosion einer zerbrechlichen Zivilisation, die durch Klimawandel, Migrationsbewegung und Friktionssteigerungen und von Terrorismus, Wirtschaftskrisen und kriegerischen Verwicklungen angefressen wird, auch das atomare GAU-Risiko einzugehen und uns aus der Non-Proliferation zu verabschieden?
Der Blick in Trauer zurück sollte uns wohlverstanden den Blick nach vorn befreien. Trauer ist mein Punkt, der bei Prantl zu kurz kommt und der Ergänzung bedarf. Der Tod ist ein Endgültiges im Leben der Menschen und gehört doch zum Leben, aber nicht in die Hand der Willkür. Traurigkeit regiert eine Weile, um den Verlust eines nahstehenden Menschen zu überwinden, es braucht Zeit, um mit dem Verlust, dem Fehlen, der Wunde, der Leere, dem „Vorbei“, „Nie wieder“, „Unwiderruflich“ umgehen zu können, um ins Leben mit einer ausgesöhnten schönen und guten Erinnerung zurückfinden zu können. Die Frage ist: Sind wir mit der Pflege der Soldatenfriedhöfe und den Gedenkstunden in Bezug auf die großen Weltkriege der Trauer gerecht geworden? Haben wir die Traurigkeit an uns herangelassen, herangeholt, verspürt, gefühlt, den Schmerz empfunden, was uns, unserer Identität in dieser Geschichte passiert und damit auch uns Heutigen widerfahren ist? Ist uns klar geworden, wieso gekommen ist, was passiert ist und woran es gelegen hat, was reuig zu machen vermöchte, anders zu handeln, wäre denn eine Rückversetzung in der Zeit möglich!? Die Wiederholbarkeit mit einem Zeitsprung zurück bleibt bitteres Wunschdenken, doch die Gelegenheit für kommende Herausforderungen zu ergreifen, dafür aufmerksam und wachsam zu sein, kann der Imperativ sein, sich im Herausgefordertsein der Bewährung zu stellen. Über die aussöhnende Erinnerung können Zukunftswächter werden, der Wiederholung, nur sein Ding im Auge zu haben, in der Verblendung und Abschirmung, dem Geschehenlassen entgegen. Ja, es hat ihn auch gegeben, es hat auch der andere Versuch der Wiederholung stattgefunden: Die Hand in der Tasche, zur Faust geballt und dazu immer daran denken, der Tag der Vergeltung wird kommen! Machen wir uns nichts vor, bewusstseinsmäßig läuft das nicht so primitiv ab. Die Geschwister Neid und Eifersucht wissen sich Tarnkappen aufzusetzen. Der Elefant im Porzellanladen ist eher die Ausnahme, auch wenn es ihn wieder gibt.
Wer den Blick auf die von ihm erlebten Gedenkstunden zum Volkstrauertag blickt, dem dürfte wohl die Kraftlosigkeit dieser Pflichtübungen klar sein, Volkstrauertage, die sogar gegen den Herbstblues, gegen trübe Tage der Melancholie und des Düsterwerdens zu Tagen der Langeweile abfallen, nicht solche Tage sind, die wie Weihnachten von Kindern herbeigesehnt werden. Im Gegenteil. Hoffentlich geht der Tag schnell vorüber, um sich interessanteren Dingen wieder zuwenden zu können. Es gibt keine Verführung zum Volkstrauertag, zu einem Welttrauertag, sich dem Mollton und seinen Liedern hinzugeben, Erinnerungsbilder zu pflegen, Empfindungen nachzuhängen und Ausgesöhntes in neuer Entschlossenheit für das Schöne und Gute neuer Einsichten nach vorn wegweisend und mit neuer Energie aufgeladen zu genießen. Aus der Vergangenheit von Bomben, Granaten, Kugelfeuer und vom Abschlachten die Verwandlung erleben, verwandelt durch den Mut und das Schicksal von Aufrechten, einigen Couragierten, verwandelt durch das erinnerte Lächeln und den freundlichen Gestus der Verbundenheit und dadurch ins andere Leben zurückkehren und im Berührtsein diesen aufmunternden Sonnenstrahl gegen den Vernichtungsdrang und die Zerstörungswut mitnehmen. Welche Trauerlieder haben und pflegen wir, die uns für Selbstbetroffenheit empfindsam machen, uns die Bitterkeit der Verfehlungen zurückholen, uns über das Geschehene traurig machen, den Stolz auf die Altvorderen nehmen, uns hadern lassen, dass sie nicht Helden der Menschlichkeit gewesen sind, sondern ihre Verächter und uns in den ärgsten Zwiespalt der Herkunft stürzen.
Es erinnern mit Sirenenton die Juden in Israel alle Doppeljahre an den Holocaust durch kurzen Stillstand des öffentlichen Lebens. Sie haben auch Lieder der Trauer über sich selbst, sind im Gespräch mit Gott, lassen die Bitterkeit auf sich wirken, bekennen voller Trauer ihre Schwächen, ihr Versagen, ihre Dunkelseite gegenüber Gott in ihrer Geschichte. Ja, ja, das Judentum gehört zu Deutschland, aber über eine große Musikgeschichte hinaus haben wir für uns nichts Vergleichbares an liedhafter Einfachheit hervorgebracht, müssen uns der Leihgaben bedienen, haben vom jüdischen Beispiel nicht gelernt, nämlich der musikalische Herausforderung für anlassgemäße Liederwelt zu entsprechen, die auch in der Weiterung dem Weltbewusstsein aller gilt, gelten muss. Erkennungsmelodien: „Laras Lied“ auf die russische Oktoberrevolution, ein verbindender Ohrwurm, der Menschen miteinander ins Gespräch bringen kann. Oder „Don’t cry for me Argentina“, nicht weniger weltweit berührend. „If God lived on Earth people would break his windows: Something Beautiful.” (Sinéad O'Connor) Und wir Deutschen bringen das Lied vom „guten Kameraden“ auf Weltkriege und Shoah! Hey, das Leben geht doch weiter! Wer melancholisch, wehmütig und auch schwermütig zu genießen sucht, sollte das bitte im Netflix-Angebot für sich tun! Tolle Palette. Oder?