Reflexivität - Maybrit Illner-Talk
"Maybrit Illner"-Talk"Wir sind nicht abgehängt, lieber Robert Habeck"
Riskieren wir unseren Wohlstand? Das wollte Maybrit Illner von ihren Gästen wissen. Vor allem Peter Altmaier und Robert Habeck lieferten sich Wortgefechte. Das Wichtigste zur Sendung im Überblick.
Von Klaus Raab
Kritisieren ist nicht schwer, Fordern tut sich leichter, Knackpunkt ist das vernünftige Erfassen und Begreifen des Wirklichen, das Hervorbringen wirklicher Orientierung für besonnenes Handeln. Eine starke Diskussionsrunde zu einem bedeutsamen Anschlussthema nach dem bekanntgegebenen Klimaschutzprogramm der Bundesregierung hat die Klingen bei Maybritt Illner klirren lassen. Eine Art Nachgefecht auf höherem Niveau hat stattgefunden, welches der Effektivität des Klimapakets, der wirtschaftlich verlässlichen Leistungskraft, der Sicherung von Arbeitsplätzen und dem Wohlstandsversprechen gegolten hat. Wesentliches ist beachtlich pointiert zu Protokoll gebracht und der Leser wie auch Zuschauer der Sendung ist sich selber für Bewertung und Würdigung der Diskutanten und ihrer Sachgehalte überlassen.
Schon die Frage der Verdichtung nach den Knackpunkten dieser Diskussionsrunde verdeutlicht trotz protokollarischer Verwesentlichung die Schwierigkeit der Gewinnung einer neuen Metaebene in Bezug auf das Hervorbringen wirklicher Orientierung für besonnenes Handeln der Politik. Meine Abschöpfung und Anordnung liefert die Stichworte: weltökonomische Lageveränderung – Realitätsverlust und Größenwahn – abstrakte Kapitalismuskritik – Klimapaket um den autoindustriellen Brei – hausgemachte Probleme durch Sichtfahrt – marktwirtschaftliche Selbstzerstörung durch freibleibende Zweckdienlichkeit.
Den krönenden Höhepunkt der Gesprächsrunde hat Robert Habeck gesetzt, einen festzuhaltenden Leitgedanken, den des Liga-Wechsel für die deutsche Wirtschaft, eine Abstufung, die einen wunden Punkt getroffen und ein hitziges Kurzgefecht ausgelöst hat, ob die deutsche Wirtschaft weltökonomisch angesichts der strukturellen Veränderungsprozesse abgehängt ist oder nicht. Seine Einstufung hat ihm einen bekannten und üblen Vorwurf der Selbstbeschimpfung wie auch das Missfallen seiner Feststellung im Publikum eingebracht und sein Verweis auf chinesische Leistungsfähigkeit im investiven KI-Bereich zu den eigenen mickrig aufbringbaren Summen vermochte nicht zu überzeugen. Unverkennbar ein rückständiges Bewusstsein der Selbsteinordnung im deutschen Biotop, wenn denn nur anders die Augenfälligkeit gesucht und aufgezeigt wird. So der Pekinger Großflughafen mit einer Bauzeit von vier Jahren, dagegen deutsche Projekte S 21, BER oder überforderte Instandhaltung der Bundeswehr. Eine integrierte und stabile EU könnte die Gewichtigkeit der Leistungskraft erhöhen, aber danach sieht es auf lange Zeit angesichts hemmender Faktoren nicht aus. Für globale Großprojekte spielt Deutschland allenfalls in der Hinterreihe eine Rolle. Dergestalt hätte Haeusgen eine richtige Selbsteinschätzung der wirtschaftlichen Leistungskraft vorgenommen. Ein Branchenvertreter im Maschinenbau. Sein Blick ist mikroökonomisch geprägt und verengt, nicht makroökonomisch auf das globale Framing für Übersicht, zweckdienliche Einwirkungs- und Partizipationsmöglichkeiten wie Verantwortung ausgerichtet. Was Altmaier angeht, so ist er Repräsentant der Regierung und alles kann nur in Butter sein und der Angriff auf die schwarze Null ist ein Sakrileg. Mit dem Klimapaket steht er nur für das Überleben der Koalition.
Der Realitätsverlust ist das eine, nicht sich selber im großen Spiel der Kräfte wahrgenommen und in substanzieller Belastungsfähigkeit auf eigene ergreifbare Chancen und Risiken eingeordnet zu haben. Der Größenwahn ist das andere, nämlich die Kehrseite des Realitätsverlustes. Er spiegelt die substanzielle Überforderung im KI-Projekt wider, das sozusagen im deutschen Alleingang für globalen Höhenflug und Augenhöhe gegen die digitalen Riesen auf den Weg gebracht werden soll. Das anschauliche Beispiel gibt die Braunkohleregion Lausitz ab, der ersatzweise aus dem High-Tech-Bereich Kompensationen für Arbeitsplatzverluste erwachsen sollen. Dass damit der soziologischen Bevölkerungsstruktur vorhersehbar nicht gedient ist, ist evident. Hochmoderne Krankenwagen mit teurem Interieur, die im Rahmen wohlmeinender Entwicklungshilfe den Weg nach Afrika gefunden haben, sie sind ungebraucht vergammelt, haben nicht die Robustheit gehabt und die Menschen vor Ort in Bedienung und Wartung überfordert. Warum so standortfremd, kein Anknüpfen an die polytechnische Oberschule oder Laborschule, an überbetriebliche Ausbildungsstätten von Qualität, Beförderung von Fachabitur und ein Set an Fachhochschulen?
Wer im Voraus schon wissen kann, dass das Gewicht für ein Mitspiel in vorderster Reihe der Oberliga auf Selbstbetrug hinausläuft, sollte sich für das mittlere Feld stark machen, das den ganz Großen, an Großes interessiert, weniger Aufmerksamkeit wert ist. Afrika ist ein Riesenmarkt geworden, um an seine Ressourcen heranzukommen. Multinationale Konzerne möchten, was den Absatz angeht, im großen Stil – mehr bedürfnisweckend denn bedürfnisaufspürend – ihrem Ehrgeiz profitabel nachgehen und haben kein Interesse über den eigenen geschäftlichen Erfolg hinaus. Es sind die Rohstoffe, nicht die Länder selbst von Interesse. Das moderne industriegesellschaftlich Leistungsangebot geht über notwendige Elementarentwicklungen hinweg, springt über die andere Lebenswirklichkeit hinaus und lässt die Weisheit aus, nämlich Möglichkeiten des Landes in den Lebensgütern wie in den Möglichkeiten der jungen Menschen selber erreichbar und grundständig zu entwickeln, angemessene Landeserzeugnisse und erste Ausbildungsstandards dafür in der Vermögensentwicklung hervorzubringen. Hier ergibt sich also ein unbeackertes Feld auf unterer und mittlerer Ebene in etwa für Neuwahrnehmung und Bedarfsforschung – digitale Vernetzung – Interkulturalität – suprastaatliche Vereinbarungen – Logistik – Marketing – Professionalisierung. Chinesischer Erfolg in Afrika, er lebt nicht zuletzt vom eigenen Umbruchwissen aus einfachen Verhältnissen in die Moderne.
Und ich denke mit Blick auf die Notwendigkeit von Neuwahrnehmung an Mario Gutmann, der sich phantasielos um neue Arbeitsstellen respektive Arbeitsplätze sorgt, aber die Sorge nicht mit Bedarfsforschung für neue Produktpaletten zusammenbringt. Sein Konzern verfügt schon über Voraussetzungen, die in der Lausitz erst aus dem Boden zu stampfen, zu schaffen wären, um bedarfsgerecht auf eine Herstellung von Produkten für andere Lebenswelten einzusteigen, die den Menschen der Lausitz verdammt lebensnah für Einfühlungsvermögen bekannt sind. Nichts gegen die künstlichen Gehversuche der Berliner Startup-Szene, doch was den Bedarf an digitaler Kompetenz angeht, lässt sich verschlafene Zeit nicht überspringen, gilt es in Stufen vorzugehen und gegen alle Rosinen im Kopf das Digitale ganz elementar aufzugreifen. Über den Notstand der zu digitalisierenden Gesellschaft muss wirklich nicht mehr gesprochen werden. Aus digitalen Dummies werden nicht von heute auf morgen viele Cracks in der Breite. Was im „Pütt“ sich zähklebrig gegen den Wandel verhalten hat, ist schon jetzt vorab die Herausforderung – gegen den Selbstbetrug, übertüncht mit dem schönen Schein. Allein der Bedarf an Nothelfern für den Einstieg in die computergestützte Konnektivität von operativen Modellen für willige Modernisierer auf unterem Niveau wartet mit Hoffnungslosigkeit für die Freigesetzten auf. Der galoppierende Fortschritt technischer Funktionen und Programme hat ungeheuer zugenommen, die tatsächliche Nutzanwendung ist nicht wesentlich von der Stelle gekommen, leidet an der Bildungslücke.
Es spricht Friedrich Merz von der Zerstörung der Marktwirtschaft durch Systemüberwinder. Er täuscht sich, macht sich mit dem Hühnerhofgegacker gemein. Es fehlt der korporative Geist in der Wirtschaft selbst, der nicht nur je um sein eigenes Ding weiß, sondern sich auch dienend als Mittel menschlicher Zwecke der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt und politisch vernünftig aufgehoben und perspektivisch angeleitet weiß. Es hat die Politik nicht vernünftig angeleitet und der korporative Geist der Wirtschaft hat sich nicht dem Herausgefordertsein für substanzielle Werte des Gesellschaftslebens gestellt, sich selbst nicht periodisch den Widersacher gegen das selfish system gegeben, es diskutiert und wegweisend entschieden. Es fehlt die vernünftige Selbsteinordnung, exzessiven Wucherungen und Auszehrungen und Selbstdurchkreuzungen entgegen. Die Politik hat sich für die Wirtschaft auf einen Laissez-faire-Modus eingelassen und hat sich vom Erfolg der Wirtschaft durch Wegsehen bis in Zugeständnisse und Schieflagen hinein abhängig gemacht und nicht wenige Betriebe der Wirtschaft haben ihre Selbstbehauptung mit viel Lug und Trug zu einem Risikospiel der Scharaden – mehr oder minder ausgeprägt – hochgetrieben . Das Zerteilungsprinzip wird hofiert. Der Kopf weiß von nix, so kann die eine Hand nicht wissen, was die andere tut und umgekehrt. Im Positiven wie Negativen muss wohl oder übel eine verflixte unsichtbare Hand im Spiel gewesen sein.
So plausibel und schlüssig abstrakte Kapitalismuskritik scheint, dass mit Blick auf den Klimawandel der verselbstständigte Kapitalismus ein überfälliges Auslaufmodell ist, dass mit ihm die Welt nicht grün, so Nina Treu, also nicht überlebensfähig werden kann und auch ein zu verwirklichendes „zukunftsfähiges“ und „gutes Leben für alle“ nicht einlösen kann, kommt einer utopischen Plattitüde von der Weltveränderung gleich. Was umweltverträglich, gerecht und lebenswert sein soll, dafür den Umbau herausfordert, setzt bei den Menschen Wissen, Wollen und Weg für die Veranstaltung voraus. Und da fängt das Problem an, geht es in den Konflikt über und man komm zersplittert und wirr aus den Widersprüchen nicht mehr heraus. Die Provokation ist allerdings für die Kapitalismusanbeter nicht nur wünschenswert, sondern auch vonnöten, sei es der amerikanische Kapitalismus der libertinistischen Marktwirtschaft, die individuelles Persönlichkeitsdenken ohne Sozialitätsprinzip ist oder der chinesische Kapitalismus der gelenkten Marktwirtschaft, der kollektives Denken ohne individuell freiheitliches Personalitätsprinzip ist. Wie wir sehen und erkennen können, vermag der gelenkte Kapitalismus Chinas auf den herausfordernden Klimawandel zu reagieren, der libertinistische US-Kapitalismus nicht. Lassen wir auch nicht die soziale Marktwirtschaft außen vor, die auch auf das Personalitätsprinzip zurückgebunden ist. In Sachen Klimaschutzprogramm wird die Ernsthaftigkeit weich wie Butter. Schlussendlich die Welt des guten Lebens für alle, sie tritt nicht mehr als positiv ausgemalte Utopie auf, sondern negativ als Utopie des Umgestaltungszwanges und Rückführung auf Grenzen eines naturverträglichen Wachstums wie auf Gerechtigkeit für Teilhabe am guten Leben. Das wegweisende Wie für Maßnahmen, die überzeugen und auch zielführend gelingen können, fehlt! Eine Theorie schöner Worte, die Praktikabilität und zielführende Prozessualität sind ungelöst.
Eigentlich müsste das deutsche Klimapaket ein Rettungsanker sein, doch die Maßnahmen sind nicht zielführend festgeschrieben und das Monitoring vermag weder wirtschaftliche Leistungskraft noch den politischen Willen für Zielerreichung der Rettungsmaßnahmen zu verbürgen. Das Klimapaket ist Gegenstand der Unzufriedenheit geworden, aber zielführend wäre ebenso mit einer voraussehbaren Kritik zu rechnen gewesen, die den Zumutungen gegolten hätte. Das Klimapaket ist in seiner Unzulänglichkeit der Ausdruck auf einen verschleppten und nicht eingestandenen, aber offensichtlichen GAU zurückzuführen, von der Autoindustrie und der Verkehrspolitik verursacht. Wie die Katze um den heißen Brei herumschleicht, so die Politik um das autoindustrielle Desaster, hält den kriminellen Schädiger jedoch für Systemrelevanz hoch und, geht ins Risiko und verkauft komplementäre Stützmaßnahmen für das Elektromobil als Rettungsschritt für das Klima. Dieser fokussierte Strang bannt und absorbiert derart die Aufmerksamkeit, dass technikoffenes Denken blockiert ist und Gefahr besteht, nämlich weder Verkehrswende noch landwirtschaftliche Umstellung oder regenerative Energiealternativen wie auch die häusliche Wärmedämmung zu schaffen. All das autoindustriell verursacht und nun klimapolitisch im Zwiespalt, was denn primär das Schutzbedürftige ist, die Systemrelevanz oder das Klima.
Es hat der Kapitalbedarf den Gürtel für das Klimapaket enger schnallen und durch die schwarze Null noch enger schnallen lassen. Statt bedarfsgerecht und zielführend mit Investitionen einzusteigen, die doch erst anlaufen müssen, geht schon der Abbau von Arbeitsplätzen in der Auto- und Zuliefererindustrie los, die mit der Elektromobilität monostrukturell neu und schon mit Geburtsfehlern ausgelegt wird. Ein schlechter Witz und wenig Geistesblitz, was Technologieoffenheit angeht, die da auf Autorettung gemünzt ist, nicht aber der grünen Technologie und neuen synergetischen Standards mit massiven Investitionen gewidmet ist. Wie denn neue Arbeitsplätze in zureichender Zahl entstehen sollen, wo denn freigesetzte Arbeitskräfte konkret unterkommen sollen, davon ist keine Rede. Das Vertrauen in Wunder durch deutsche Ingenieurskunst ist phänomenal, auch wenn sie es immer noch nicht vermocht haben, die Autoemissionen echt unter den Grenzwert zu bringen. Richtig ist, dass es falsch wäre, einer technologieoffenen Forschung die Beendung zu erklären, aber massive Investitionen sollten doch mehr den anderen vernachlässigten Verkehrssystemen gelten.
In Anknüpfung an Lausitz und Gutmanns Gedanken anderer Produkte, die der Autoindustrie wie den Autozuliefererbetrieben neue Arbeitsplätze zu schaffen helfen, wäre auch hier der Autokonzern VW beispielsweise von seiner internationalen Infrastruktur alternativ zu bedenken, nämlich dass seine eingespielten Außenstationen Rucksackfunktionen übernehmen – für Hilfestellung in Bezug auf Bedarfsforschung vor Ort, Rechtswirklichkeit, Marketing für bedarfsgerechte Angebote und logistisch zu installierende Satellitenpositionierungen. Aber der Autokonzern vermag auch für einen eigenen Zweig im Konzern durch Umlenkung von Investitionen sich das Modell für ausgewählte grüne bedarfs- und landesgerechte Produktions- und Produktalternativen und Produktpaletten auf die Fahnen zu schreiben. Es muss in der etablierten Wirtschaft wieder möglich sein, dass sie selber kleinere Erfolge für den großen Erfolg anstrengt und nicht Erfolge der Kleinen bloß übernimmt – sozusagen als Vorlauf und Testphase – um sie dann als aussichtsreich im großen Stil zu noch größerem Markterfolg mit eigenen Attributen bis hin zur Verpackung managen zu wollen.
Ähnlich die Regierungspolitik der Kanzlerin, in Frankreich als „Madame Non“ bekannt, die Risiken gegenüber, von Vorsicht geplagt, dann nach Zuwarten und Lageklärung dem Chor oder der Wende doch zugestimmt und sich an die Spitze gestellt hat. Das Denken nach vorn hat nicht stattgefunden. Es hat kritische Wirtschaftspolitik gefehlt, dem VW-Käfer –Slogan gemäß auch für die Wirtschaft: Und läuft und läuft! Ebenso ist eine effektive und konzeptionelle Gesellschaftspolitik ausgeblieben und auf das Niveau von Wahlgeschenken für den Stimmenfang heruntergebracht worden. Die Politik ist zur Bestandsverwaltung geworden, ist auf Sichtfahrt gegangen, hat weder antizipiert noch konzipiert hat sich freibleibend auf außergewöhnliche Reaktionserfordernisse eingestellt. Einmal ist die Kanzlerin aus der defensiven Grundhaltung herausgetreten und es ist dann die Regierungspolitik der fallierenden Option in der Flüchtlingspolitik hinterhergelaufen. Zugleich ist das Defizit im Zusammenwachsen des wiedervereinigten Deutschlands sichtbar geworden. Aufbrechender Neid in Bezug auf die kurzweilig hochfahrende Willkommenskultur, die den „Ossis“ vom Strohfeuer des Begrüßungsgeldes dann in traumatisches Erleben umgeschlagen ist. Das Genügen in und das Verfechten einer prioritären Leistungsgesellschaft hat die gefährliche Einseitigkeit einer Kommerzgesellschaft mit dem Rechtsruck in subjektive Grundbedürfnisse eines gemeinschaftlich erlebbaren Geltenwollens freigelegt. Das erlebbare Gemeinschaftsgefühl fällt europaweit ins Leere und die losgelassene Globalisierung der Märkte verstärkt mit rückläufigen Wellenschlägen identitäre Identifikationen in den unvorbereiteten und nicht wetterfesten Volkswirtschaften.
Das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft ist ungeklärt. Obgleich verfassungsrechtlich kein Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festgeschrieben worden ist, sondern aus den Eigentumsrecht und seiner Pflichtigkeit interpretiert werden muss, tritt die Wirtschaft auf, als hätte sie nach wie vor ein Alleinstellungsmerkmal und kein partnerschaftliches Gegenstück, sondern nur den Staat als ihren Herrn, der sozialstaatlich der Gesellschaft, dem Gegenstück der Wirtschaft, als „Nothelfer“ beispringt. Das gesellschaftliche Eigenrecht ist als Gegenstück zur Wirtschaft ungeklärt. Der hybride Ersatz dafür ist die soziale Marktwirtschaft mit dem Leitgedanken: Wohlstand für alle. Das Interesse am Wohlstand für alle wird sozusagen nachgeordnet und ergänzungsweise über die sozialdemokratische Parteipolitik wahrgenommen. So in etwa könnte sich eine Ebene höher die Zukunft der EU ausnehmen. Das Ganze ist eine apparative Konstruktion ohne Seele, ein pyramidal aufragendes Super-Selfish-System von Selfish-Systems mit maschineriehaftem Überbaupersonal, insgesamt in der Subjektstruktur kein sich erlebendes Volk seiner Völker, von keinem jugendlichen Geist der Subjektivität substanziell durchweht und für Werte nach innen und außen angestrengt und ins europäische Leben gerufen.
Und es spielt Deutschland in dieser neuen Geschichte die Rolle des vergesslichen Schuldners, dem die große Schuld erlassen worden ist und dem großmütig und großzügig unter die Arme gegriffen worden ist, aber dieses Deutschland vermochte sich nicht, als es selber herausgefordert war, auf die Rolle des Gläubigers gegenüber Hilfebedürftigen und Schwächeren einzulassen und großmütig und großzügig zum Gelingen des großen Vorhabens mit seinem Vermögen und seinen Erfahrungen beizutragen. Wer vermag nicht in dieser Anspielung den Kriegsverbrecher als Schuldner und den Geizkragen wie auch den Geldscheffler im Gewand des Selbstgerechten als verstiegenen und aufbegehrenden Gläubiger wiederzuerkennen, der sich mal für geschröpft hält, mal als Wohltäter vermeint und sich eher totstellt als sich für die EU zu bewegen? Ein negativer Geist hat die Welt ergriffen und gibt den Ton der Auseinandersetzungen an, lähmt, zieht die Kräfte nach vorn runter, lässt den neuen Impuls verkennen, der sich der Welt schon übergreifend jugendlich mitteilt, aber noch nicht von dem Neuen her begriffen worden ist.
Es steht der europäische Zusammenhalt und fortschreitende Einigungsprozess auf dem Spiel, ja, die seelenlose Maschinerie steht vor dem Scheitern. Kein Geist der Freude hat diesen Zusammenschluss durchweht, er ist bloß das „Lied an die Freude“ geblieben. Macron hat die neue Tonalität staatspolitisch gewagt Und dieser neue Geist ist auch von unten da, ist von Greta Thunberg sogleich auch für das Rettungspotenzial in aller Welt geweckt worden, die Wachstumswirtschaft aus der Verselbstständigung in den Kreislauf der Natur umzulenken und vor sich selbst zu schützen, vor dem selbstzerstörerischen Kollaps, vor dem neurotischen Überdrehen.
Im Vorhaben des Klimaschutzes steckt der neue Aufbruchsgeist, der, wie an der Jugendbewegung schon zu erkennen ist, den mitreißenden Schwung verleihen wird und für die Einstimmung gar nicht erst Grenzen überwinden muss. Die geschichtliche Jeanne d‘Arc hat couragiert in der kriegerischen Auseinandersetzung befeuernd der Befreiung und Souveränität ihres Landes gedient, eine Greta Thunberg kann als Ikone eines neuen Pioniergeistes dadurch den verselbstständigten Kapitalismus in die Zweckdienlichkeit für Natur und Mensch zurückweisen und bewirken, den ziellosen Hype um KI und weltweites Überlebenkönnen neu zu justieren. In Europa steht Deutschland auf der Investitionsbremse, ist das, was es anderen vorwirft, Besorgnis um eigene Selbstmächtigkeit. Es hat für Energie, Digitales und Infrastrukturelles nicht proaktiv und initiativ auf europäische Koordination, Kooperation und Konstitution umgestellt, träumt von wettbewerbsfähigen multinationalen Konzernen für das Oberligaspiel, nicht wirklichem Zweck dienend, sondern einer freibleibenden Machtgröße für sich selbst.
Es ist eine Denke, die mit dem Klammerbeutel gepudert ist, den kreißenden Berg abgibt, der am Ende über das Mäuschen im Konzert der Großen nicht hinauskommt. Mit Blick auf Afrika als großen Markt der Zukunft: Wir werden dort auch als EU keine Großflughäfen à la Peking bauen, eine kontinentale Infrastruktur verkaufen und ohne entsprechendes Human Capital in den Bevölkerungen ertragsfähige Werke auf Lizenzbasis einrichten. In der Vergangenheit sind Oberschichten bedient worden, Stauseen für die Landbewässerung und hohe Staudämme für die Energiegewinnung mit Nebenfolgen gebaut worden: Korruption, versalzenes Land, Mangel an Wertschöpfung das Ergebnis, mehrheitlich Menschen, die nach wie vor eine miserable Existenz abfristen. Aus heutiger Sicht der Betrachtung der Produktionsmaschinerien zeigt sich das, was „Lebensstandard“ heißt, angesichts der Grenzen, die der Planet sichtbar werden lässt, gar nicht übertragungsfähig ist, nicht einfach transplantiert werden kann, sondern vor Ort von den Lebensbedingungen her sich entwickeln muss .
Und es ist kein schlechter Maßstab, wenn, wo nicht überall in der Welt, die Zweckdienlichkeit von Marktwirtschaften from bottom to top auf individuelle Lebenszufriedenheit und öko-soziale Daseinsvorsorge der Gesellschaften wie auch weltbefriedende Vernunftordnung der politischen Handlungseinheiten eingestellt ist und ordnungspolitisch umgestellt wird. Leider steht großenteils in der Verknüpfung von Befähigung zur Selbsthilfe den Helfern das eigene Geschäftsinteresse im Vordergrund und von der Moral her gesehen nicht umgekehrt. Sich in andere hinein zu erkunden und in ihre Lage hineinzuversetzen ist wohl mehr ein frommer Wunsch. Geschäftstüchtiges Aufschwatzen regiert. Je mehr umso besser. Werbung für die eigenen Sachen, strategische Erzeugung von Abhängigkeiten – in erneute Hilflosigkeit hinein und nicht in nachhaltige Stärkung der Stärkungsbedürftigen. Wesentlich jedoch vor allem ist die Investition in substanzielles Human Capital, in das Selbstwertgefühl, in auszubildende Grundfertigkeiten und offene Selbstorganisation und demokratische Mitbestimmung. Auf dem Lande zählt gegen Auseinander und Verstreuung die ertüchtigte Selbsthilfe, in der Verstädterung von Wohnsilos kommt es auf viele Nischenplätze für Möglichkeiten von Eigeninitiativen an. Und denken wir nicht, in Europa gäbe es nicht auch, was afrikanische Problemlagen kennzeichnet. Die Dinge sind relativ zu sehen und Lebenszufriedenheit hängt nicht vom Geltungsbedürfnis im Luxus oder vom kommerziellen Kulturgenuss oder von asketischer Einfachheit und Bedürfnislosigkeit ab, wunschlos glücklich zu sein. Es ist wesentlich das zwischenmenschliche Mitschwingen, die Bestätigung und Anerkennung, das innerliche Nachklingen von Berührtsein, unabhängig von den vielen äußerlichen und unwesentlichen Dingen, die uns Wirtschaft als Bedürfnis einzureden sucht.
Es ist nicht Greta Thunberg krank, die gar nicht daran denkt, den ökonomischen, politischen und medialen Profis ihre Arbeit abzunehmen. Das Gegenteil ist der Fall, sie fordert ihnen die Kenntnisnahme der wissenschaftlichen Einsichten in Bezug auf die kritische Klimalage ab, mahnt das Ergreifen sachgerechter Konsequenzen an, hält den Verantwortlichen den wissenschaftlichen Denkzettel vor, der besagt, dass ein Hausbrand entstanden ist und dementsprechend so zu handeln ist, wie gehandelt wird, wenn ein gefährliches Feuer um sich greift. Die Botin mit der wissenschaftlichen Botschaft des gefährdeten Naturkreislaufes und der gefährlichen Weltlage für die Menschen zu schelten und zu diskriminieren, das zeugt nicht von Intelligenz, aber von Ignoranz, von der eine sich potenzierende Gemeingefährlichkeit und letztlich die Selbstzerstörung unserer wirtschaftlichen Lebensgrundlagen ausgeht. In Deutschland gibt es Vertreter des libertären Kapitalismus, die da – durchaus vergleichbar – voller Überzeugung im „Führerbunker“ sitzen und wundergläubig und technikoffen den kapitalistischen Krieg fortführen und vom „Endsieg“ über die Natur ausgehen. Die Einschläge kommen näher und vornehmlich etliche Herren der Schöpfung geben sich wie unbelehrt und verpassen in Deutschland wie in der EU die Chance zum großen Aufbruchsprojekt, nämlich Europas Wirtschaftskraft ökologisch - friedenspolitisch – gesellschaftlich auszurichten und zugleich insbesondere den Klimaschutz in der Welt voranzutreiben. Dieser geweckte und engagierte Geist der Jugend, diese gemeinschaftliche Lebensfreude und für Pioniertaten offene Begeisterungsfähigkeit, sie kehrt nicht so schnell wieder, noch weniger, wenn die Welt in Naturzyklen außer Rand und Band versinkt. Wird die Kommissionspräsidentin in Brüssel die Gunst der Stunde nutzen, die Chance ergreifen und mit aller Kraft auf synergetischen Umbau und zweckdienliche Justierungen gehen, in die EU-Länder hineinwirken, der „Ode an die Freude“ europäische Lebendigkeit geben, mit dem Geist der jungen Menschen auf einen mitreißenden Bewusstseinsstrom des neuen Zusammenspiels von Natur und Mensch in der Welt hinaus?