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Dynamisches Denken 

Defizit in der deutschen Oberstübchenbildung

 

Was die pandemische Corona-Krise angeht, stecken wir noch drin, hat es die deutsche Politik nicht vermocht, strategische Leitplanken einer Verlaufsplanung für die Öffentlichkeit vorzulegen, um die voraussichtlichen Herausforderungen in den verschiedenen  Bereichen der fortlaufenden Aufgaben, der neuen Probleme und Konflikte für Maßnahmen der Bewältigung und Abarbeitung  zu erfassen . Das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines allgemeinen Strategiepapiers hat’s für Regierung und Parlament nicht gegeben. Als Losung ist Sichtfahrt ausgegeben worden und die Politik hat sich mit Vortritt für die Virologen  in die Amtskanzlei zurückgezogen und sich für eine eigene Agenda, sofern es überhaupt konzeptuelle Aufrisse und  Planungsbemühungen gibt,  der Einsicht entzogen. Auch nach drei Monaten ist keine Abhilfe geschaffen worden. Stattdessen ist die Wahrnehmung für Einheit in der Vielheit  föderaler Kakophonie überantwortet worden.

 

Es geht nicht um das Gesundheitsministerium, sondern insbesondere um das Kanzleramt, das angesichts einer pandemischen Weltkrise, die auch Deutschland getroffen hat, herausgefordert ist. Doch die deutschen Antennen haben vom eingeschalteten Interesse nur Provinzformat, drehen sich nur um sich selbst, bedienen die eigene Nabelschau  und sind für die Umstellung auf die Krise und ihre Eindämmung nicht einmal gut. Christina Mueller, sie bringt mit ihrem strukturellen Aufriss „Coronavirus: Der Hammer und der Tanz“ aus amerikanischer Sicht der Datenpräsentation ein anderes solides Handwerkszeug der informativen Übersichtsgewinnung  ins Spiel, schafft eine Basis für die notwendigen Überlegungen, wie es für Ausgang und Übergang in eine neue „Realität“ weitergehen soll.

 

Der politischen Intelligenz ist kein gutes Zeugnis auszustellen. Was sie sich als Leistung ans Revers steckt, hat nachweislich die Angst der Menschen mit Blick auf schwer getroffene Nachbarländer bewirkt, dann als Weckruf auch die Politik. Anstoß, die Spahns Stunde geworden ist, auf eine panische Ängstigung durch Ausstrahlung von Gelassenheit beruhigend zu wirken. Und schon haben sich Kanzlerin und der Ministerpräsident Bayerns  aufs Trittbrett gestellt und die Nähe zum ersten ‚Einflüsterer‘ mit positivem Niederschlag in Zustimmungswerten gesucht. Schwamm drüber, wie sie ihn für eigene Gunstwerbung in den Hintergrund gedrängt haben. Darum geht es nicht. Das Thema ist ja die mangelnde Oberstübchenbildung unserer Eliten und das hat etwas mit Gymnasium und Universität zu tun, die in der Denkschulung die Lernenden enorm  differenziert beziehungsweise sie im Auffassungsvermögen zersplittert und zerlegt hat, eben dass das vernünftige Denken, was Teilsicht und Sicht auf das Ganze angeht, darunter  gelitten hat. Das Schwergewicht gilt dem analytischen Denkansatz, das dialektische Moment hat mit dem Ende des Ost-West-Konflikts den Treiber verloren, auch noch Gegenpositionen ernst zu nehmen und nach ausbalancierbaren Kompromissen zu suchen oder gangbare Erpressungslücken zu finden. Die Mehrheitsmeinungen haben Regulierungsfunktion bekommen.   Aber auch ein Zurück zum dialektischen Denken, wie es üblich gewesen ist, wäre keine Lösung, diesen untauglichen Schematismus von Pro und Contra, These und Antithese für  Lösungsfindungen, als Synthese, als Kompromiss angedient, erneut zu bemühen.

 

Der Blick ins Parlament ist belehrend: Pro-und-Contra-Debatten in der Regel, analytische Erörterungen, parteipolitisch sine ira et studio geführt, wenn überhaupt, die Ausnahme, auch keine demonstrierte Synthesebildung, stattdessen, Zusammenfinden zur gemeinsam getragenen Lösung in abgeschatteten Lesungen oder Verhandlungsrunden (beispielsweise Koalitionsvertrag) ‚ausgehandelt‘. Was Hänschen  nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Was im Parlament oder in den Medien sichtbar wird, greift auf Erlerntes der gymnasialen und universitären Qualifikationen zurück. Was die Analytik angeht, besteht kein Mangel, im Gegenteil: Adipositas ist zu beklagen. Was ein fürchterlicher Übelstand ist, betrifft das Denken der Dialektik, das auch universitär notleidend, nicht selten bloß formell, sondern auch im Sprechen darüber ein dümmliches Kauderwelsch ist. Leider.

 

Haarsträubend im Presseclub die Einlassung auf ein  heißes und weltbedeutsames Thema: „Krisengewinner trotz Corona: Besiegelt ein Virus Chinas Aufstieg zur Weltmacht?“ Die Teilnehmer bringen sich mit ihren Wahrnehmungsschnipseln, deutschland- und europapolitisch eingefärbt ein, registrieren das Moment der Konfrontation, die da China versus USA heißt und kommen durchaus überein, als großdeutsche Europäer Position  halten und mitmischen zu wollen, auch wertorientiert gegen China sich äußern zu wollen.  Und das Ganze immer wieder argumentativ mit der deutschen Provinzbrille: Leichtgewicht ‚wertbezogen‘ gegen Schwergewicht.

 

Mir ist hier das dialektische Denkvermögen wichtig, das bei einem solchen wichtigen Thema auch  der Brisanz entsprechend  Rechnung tragen muss. Es geht im Wesentlichen darum,  nämlich wie sich selber im abzeichnenden Aufstieg Chinas zu dieser Weltmacht verhalten und wie im Tanz um das goldene Kalb ‚Wirtschaft‘, verschärft durch coronabedingte Weltrezession,  den Rollenkonflikt mit den USA bestehen. Um diese  Trump-Politik als Zwischenspiel auf Zeit geht es nicht, wenngleich auch nur mit ‚Ach und Krach‘ in den nervlichen Zumutungen und Belastungen. Die Bindungen zu den Vereinigten Staaten gehen tiefer. Also eine unangenehme zwiespältige Situation angesichts der Trump-Politik, die in Versuchungen führt: Wem in der spannungsgeladenen Situation das Quäntchen mehr an Gewicht geben? Mit welcher Entscheidung ist einer besseren Zukunft im Weltganzen gedient?

 

Der Fehler der Realdialektik besteht darin, den aufgetauchten Komplex kollidierender Interessen der Analytik zu unterziehen und sogleich  Für-und-wider-Facetten, was einem so assoziativ zur Verfügung steht, einzubringen und schlussendlich, soweit die Positionen der Teilnehmer eng genug und mehrheitsbildend beisammen sind, sich im Großen und Ganzen  das Einvernehmen zu signalisieren und meinungsbestärkt zu enden, als sei ein Fortschritt und kein Rückschritt zustande gebracht worden.

 

Was fehlt,  ist die strenge  Trennung, eine These, der die Funktion  der die Anfangseröffnung (Arche) zukommt, was  für Chinas Aufstieg spricht, ihn nicht abwehren zu können. Die Antithese brächte ein, was denn faktisch gegen eine Wünschbarkeit spricht. Grundsätzlich Positives nach vorn, ein Telos, das Erwartungsfähiges aufgreift, auch nachzuvollziehende Schwierigkeiten in der Sache selbst, das bleibt Leerstelle, aus welchen Gründen auch immer.  Schließlich dann Kompromisslinien oder Kompromissverweigerungen, aus welcher Gesamtschau heraus noch? Übrigens:  Was vermöchte schon bei der Froschperspektive herauskommen! Im Brunnenschacht Diskutanten, die sich groß vorkommen. Und  so geht das alte Spiel der großen Kontrahenten und der kleinen Schattenfahrer weiter und das hat nichts mit begriffener Dialektik zu tun. Zu einem anderen Ende sind die Diskutanten der Runde nicht gekommen.

 

Ich greife auf einen wesentlichen und beispielgebenden Ursprung der Dialektik zurück, der  für uns, da er von aufeinander hinweisenden Jahreszeiten her wesentlich aufzufassen ist, in unser Denken als Beispiel der Orientierung zurückzuholen und zu erinnern ist. Es geht darum, in der Untersuchung eines augenblicklichen Sachverhalts, was das Frühjahr uns im Für und Wider abverlangt, nicht den Gegenpol zu vergessen. Auch sind die Voraussetzungen, wie das alte Jahr die Dinge als Ausgangsposition noch eingespielt hat, in ihrer Wichtigkeit zu bedenken. Über die Nasenspitze des Frühlings hinaus muss es schon sein.  Die jetzt fortschreitende Bewegung  außen vor zu lassen, nämlich was die Frühlingsposition für den Herbst nach sich zieht, was der Herbst in Bezug auf den Frühling auferlegt und bedeutet, daran erinnert in etwa die Fabel ‚Grille und Ameise‘, welche die Konsequenzen vor Augen bringt. Mehr noch, geht es doch auch um den Regelkreis: Alle Jahre wieder, was das Wissen von den Wahrnehmungen her darüber besagt.

 

Übertragungsweise nun: Die Diskutanten der Presseclub-Runde haben sich auf das Glatteis führen lassen, sich wie Anfänger auf ein dichtes Einzelereignis  der Weltpolitik gestürzt und sogleich mit dem Ping-Pong losgelegt und sie sind nicht mehr davon losgekommen. Sie  haben nicht wirklich die weltpolitischen Kraft-, Macht- und Herausforderungsverhältnisse auf ihrem Schirm gehabt. Insbesondere was die weltpolitische Meta-Ebene betrifft, deren Koordinaten das wesentlich Anzustrebende, was den globalen Regelungsbedarf angeht, aufzeigt und von den einschlägigen Wichtigkeiten her  ins Bewusstsein hebt: Fehlanzeige! Kein Weltbewusstsein vorhanden. Sie wollen sich nur gegen Wehwehchen, Zurücksetzungen und Einschränkungen, aber für deutsches Schweineglück am globalen Futtertrog behaupten, für die EU reicht es gerade noch, sich daran zu erinnern, für die Welt nicht mehr. Von einer besser geregelten und erreichbaren Weltordnung selbst her wird also keine Orientierung mehr bemüht und auf Pflichtigkeiten bezogen.

 

Es bleibt der Stellenwert Chinas für die Welt unreflektiert, ebenso welche Rolle die USA noch in der westlichen Welt wahrnehmen und wofür sie gewonnen werden könnten und sollten. Also: Wohin soll weltpolitisch die Reise gehen? Kritik, die kein „Telos“ hat, kein Bewegungsziel, auf etwas zu, trägt  nicht zum Besseren bei, hält das Schlechtere fest, hier: Konfrontation der beiden Weltmächte. Kritik muss über bloße Rechthaberei einer kleinkarierten und bloß selbstdienerischen Funktion hinausgehen, muss zugleich in Abstellung von Missständen dem Telos einer übergreifend zu justierenden Weltordnung dienen, muss eine solide Meta-Ebene für konstruktive Urteilskraft haben.

 

Eine zu befriedende Welt ist auf China, auf die transhimalaische Meisterung der Überlebensverhältnisse angewiesen und auch die westliche Welt hat mit sich und dem transatlantischen Hin und Her genug zu tun, in Frieden daran zu arbeiten, den ökologisch-ökonomisch-sozialen Umbau der Staatenwelt samt Verpflichtungen aus der Kolonialzeit zu leisten. So im Groben. Was die  Diskutantenrunde angeht, muss doch vermerkt werden, dass es mit einem europäischen Integrationsprozess, sich besser in der Welt behaupten zu können, nur schlecht getan ist. Das verkennt, dass der zweite Bericht von Eduard Pestel/Mihailo Mesarovic  an den Club of Rome ein Modell der Weltregionalisierung ins Auge gefasst und skizziert hat. Die EU hat als gelehrigste Schülerin diese Supersache für sich erkannt, um im Global-Player-Spiel noch eine Chance zu  haben. Das war vor gut vierzig Jahren, heute geht es angesichts des Klimawandels, des Rüstungswahnsinns, der Wachstumsgrenzen, der Völkernöte und  der Pandemie-Lehre um mehr, was Überleben, Chancenmehrung und Risikostreuung angeht. Der Erhalt des blauen Planeten für menschheitliches Wohlergehen in einer befriedenden Weltordnung steht auf dem Spiel. Nie war die Verletzlichkeit in einer Momentaufnahme wie jetzt in der Pandemie-Erfahrung größer. Es geht um gewaltige Anstrengungen im ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbau für eine lebensfähige und lebenswerte Vielheit der Weltregionen und ihrer dergestalt zu konfundierenden Einheit der Welt.

 

Vom menschenverächtlichen Größenwahn Deutschlands her und von der europäisch-imperialen Kolonialherrschaft her ist viel Leid über die Welt gekommen, das lässt auf Beiträge der Europäischen Union für die politische Weltgemeinschaft anders blicken, sich einzubringen, nämlich Hilfestellung für weltregionale Zusammenschlüsse zu leisten und Hilfestellung für weltregionale Zusammenschlüsse zu leisten, zu ermutigen und anzuregen, sich als Gesprächspart und auch als partnerschaftliche Weltregion zu öffnen, sich einsehbar zu machen,  wie weltregionaler Zusammenschluss Frieden hervorgebracht und gelingen, wie man Kooperation organisieren, Synergien nutzen, Augenhöhe einspielen, Wohlstand schaffen und Lebensbedingungen verbessern kann. Es ist keine europäische Animationsrolle für den Gedanken der Förderung von Zusammenschlüssen nachbarschaftlich gelegener Staaten zu Weltregionen bekannt.

 

Ein verblödeter Geist, im herkömmlichen Schematismus dumpf und stumpf geworden, hat in der Tat kein dynamisierendes Telos in sogenannter kritischer Auseinandersetzung.  Für die Entschuldigung kann in der Tat nur noch der schulische wie universitäre Mangel an der fehlenden  Einübung von dialektisch-teleologischer Dynamik dingfest gemacht werden, ein  Mangel, der dem Kontrapunkt  der mathematischen Statik von Formeln anhaftet, die bloß resultativ sind, prozessual nicht mehr offen, sondern über sich hinaus nichts Neues mehr zulassen, Altes wiederholen. Die Geschichte von Kain und Abel. Was interessiert’s die Deutschen – Shoah-Geschichte im Rücken!  

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