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Nachdenken können

Zeit für Goldstaub haben

Das Höhlengleichnis

Hermeneutikbedarf

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Alles fließt. Sicherlich. Das Weltall dehnt sich aus. Leben entwickelt sich.  Unmerklich. Wie die Hebung von Kontinentalplatten.  Zentimeter hier, um Jahrmillionenfaches gesteigert da, auch noch raumzeitlichen Lichtjahren eingeschrieben. Also doch Wandlungen und kein Unwandelbares. Auch die gewachsenen Kategorialsysteme in den Kulturen der Menschheitsfamilie. Allerdings kurzphasiger, was philosophische Knotenpunkte zu erkennen aufgeben. Aktualiter:  Ein und Alles als Entzweites,  das Westliche und Östliche des Denkens, vom Teil her hier, vom Ganzen her da, im Übergang begriffen,  Aneignung des jeweils Unterentwickelten, des Statarischen durch überlieferte Lebensordnung der auf Gemeinsinn Eingehegten und Ausgerichteten auf dieser Seite, des Prozessualen freier und auf Chancengleichheit erkannter Individuen als rechtsfähige Personen der Selbstverwirklichung auf jener,  das Dritte der Vermittlung für gegenseitig zuträgliche Koexistenz zwar bekannt, das Allgemeine für das Einzelne und das Einzelne durch das Allgemeine,  aber bloß gegeneinander,  in der anhebenden Konfrontation noch übersehen und nicht  als neue Größe für das Ineinanderübergehen  wahrgenommen. Das Zweite als Übergang beider ist herausgefordert, das halbseitig beschränkte Erste jeweilig zu ergänzen, das im Finstern Verborgene ins wissende Bewusstsein zu holen, bevor das Dritte als Synthese für Steuerung des Ganzen eine Chance hat. Nach wie vor oder heute wieder ein bevorstehender Anfang im Ende, die neue Denkbewegung: Ex oriente lux.

 

Was gibt es neu zu lernen und kategorial auf den Schirm der Bildung zu bringen? Wir kennen die Herausforderungen: Den Einklang des Menschen mit der Natur wieder herstellen. Die Gattungsvernunft im Leben aller im Geltungsanspruch als universelles Bildungswerk hervorbringen. Den Stoffwechselprozess zwischen Menschen und Natur durch die Welt vermittelt in Balance halten. Dergestalt gibt jedoch die Sicht auf das Ganze zu erkennen, dass  der Einklang mit der Natur gefährliche Störungen in den Lebensbedingungen aufweist, dass der Geltungsanspruch der Gattungsvernunft  faktische Abschätzigkeiten erleidet, Diskriminierungen durch Rassismus, geschlechtliche Inferiorität, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit, dass die Welt die Vermittlung zwischen Natur und Mensch weder sachgerecht noch interessenbefriedet von ihren globalen Institutionen her auszubalancieren in der Lage ist. Es gibt strukturelle Übervorteilungen auf dem weltmarktwirtschaftlichen Feld,  im weltgesellschaftlichen Zusammenhang  der Völker wird der jeweilige Stärkegrad in Bezug auf Rangordnung und Hackordnung ausgespielt. Was den Rechtswillen der staatlichen Weltgemeinschaft betrifft,  wenn denn ein Rechtsverfahren angestrengt und auch mit Richterspruch zum Abschluss gebracht wird, so fallen Schein und Wirklichkeit in der Weise auseinander, wenn Gerichtsurteile vom Verurteilten nach Gusto akzeptiert oder ignoriert werden können. Und die Reaktion der Weltöffentlichkeit kennt mit der Schlagzeile das Spiel – zum einen Ohr rein und zum anderen raus.

 

Hoffnungszeichen auf Fortschritt, die vom guten Willen wie von einer unerbittlichen Herrin Natur im Prozess der Globalisation sichtbar geworden sind, sind nicht nur Aha-Erleben, sondern auch Blitzeinschläge gewesen, die gedankliches Gewahren mit den ‚Grenzen des Wachstums‘ und einer ‚Menschheit am Wendepunkt‘ konfrontiert haben,. Ein Wissen zur Weltlage, empirisch erarbeitet, nicht das, auch zu den Problemen und Herausforderungen die Präsentation eines weltregionalen Lösungsvorschlags für das Überlebenkönnen aller.  In Kürze: Kein monolithischer Weltzentralismus  für rationierte Ressourcenverwaltung ist sinnvoll, sondern  synergetische Zusammenschlüsse von Staaten zu lebensfähigen Weltregionen eigener Lebensqualität, die einander ergänzen, für Chancen und gegen Gefahren, überhaupt pyramidal zu einer Handlungseinheit der Datenkontrolle und des Justierungsbedarfs der Weltregionen, die für global zu entscheidende Maßnahmen einer zu befördernden Weltgemeinschaft zusammenlaufen. Eine Positionierung, vom Club of Rome vertreten, europäisch durchaus aufgegriffen, doch weniger ideell als denn selbstinteressiert, nicht ideell über sich hinaus in der Weltbedeutung für zu bildende Weltregionen, sondern selbstgenügsam, das allseitig Intendierte ignoriert und vergessen, für Jüngere nicht mehr im Bewusstsein vorhanden, als Reminiszenz für Ältere, zuweilen hier und da auftauchend: Da war doch was!?

 

Was die weiteren Hoffnungszeichen angeht, betreffen sie die Pariser Klimakonferenz, die zum ersten Mal gegen den Klimawandel einen weltgemeinschaftlichen Willen mit Selbstzumutungen für einen Klimavertrag zustande gebracht hat, wenngleich auch kurze Zeit später ein gewichtiger CO2-Verursacher sich selbstherrlich mit seiner Stimme  aus dem Vertrag herausgezogen hat. Das unerbittliche Schicksalszeichen für Umkehrnotwendigkeit hat die Corona-Pandemie gesetzt und Illusionen im Umgang mit den Gefährdungen des  Natureinklangs zerstäubt und radikale Allbetroffenheit vor Augen geführt, sich einem losgetretenen  Höllenschicksal unberechenbarer Naturprozesse auszuliefern oder sich verträglich, verständig und einträchtig für das vernünftige Zusammenleben im Einklang mit der Natur auszurichten, sich darum in die Besinnlichkeit rufen zu lassen, alsdann für Meisterung und Beherrschung der Herausforderungen weltöffentliche Wissensquellen und Leitimperative zu erzeugen, um den Willen zur gemeinsamen Welt zu formieren und zu guter Letzt den herausgeforderten Weg zum Ziel in Notwendigkeit und Allgemeinheit zu handeln und zu begleiten.

 

Was den Fortschritt von Weltvorhaben angeht, kennt er das Schneckentempo als Modus gegen das rein technische Momentum einer Umsetzung und Bewerkstelligung. Um nicht durch Langsamkeit einer plötzlich herausgeforderten Reaktion zu scheitern, gilt die Vorbedenklichkeit, das Vermögen zur Antizipation in Bezug auf Entwicklungslinien von vielen Handlungsakteuren und auf sich anbahnende Kollisionsmomente, die regulativlos nicht aufgefangen und befriedet werden können, sondern schicksalhaft bis in kriegerische Auseinandersetzungen hinein durchschlagen. Es geht um Grenzen des linearen Wachstumsdenkens politökonomischer Handlungseinheiten, die den Bedarf an zu beschaffenden Rohstoffen, an Absatz der Leistungspalette und an Investitionsmöglichkeiten für neue Profitabilität betreffen. Wer auf die Leistungskraft der kapitalistischen Produktionsmaschinerie und die großen Weltmächte in ihrer Abhängigkeit von erfolgreicher Fortschreibung der vielen aufgereizten Befriedigungsmodelle schaut, kann mit Blick auf die Lebensgrundlagen wissen, dass das nicht gut gehen kann und ein Kampf der Selbstbehauptung entbrennen wird, wer wem bis hin zu Verderben und Tod bei Widerstand weichen muss.

 

Noch ist Zeit gegeben, dem großen Clash kollidierender Interessenlagen im Kampf um ‚Lebensmittel‘ durch Übereinkommen und Regulative zuvorzukommen, eine digitale Wissensbasis auf die Beine zu stellen, Entwicklungen zu begleiten und in den Momenten der Gefahrennäherung indikativ zu  problematisieren, von daher verträgliche und sinnvolle Modi der Entschärfung im Einklang mit einem zuträglichen Weltfußabdruck in Anschlag zu bringen. Fehlt die mediale und weltöffentliche Begleitung, ist den Spitzenakteuren der Welt in ihrer Verantwortung der Wille abzusprechen, der Sorge nachzukommen, nämlich der egomanen, ethnozentrischen und selbstfixierten Denkungsart und Wissenswelt zu entsagen und sich Selbstzumutungen auszusetzen, sich gegen Eindimensionalität zu riskieren. Politikern verständlicher: Wählern nicht für die Wiederwahl nach dem Munde zu reden und zum Schein den Samariter spielen! Ebenso weniger für Image und Renommee  im Medienbereich zum Grenzgänger werden und Grenzüberschreitungen anderer provozieren. Nicht zuletzt:  mehr nachhaltige und substanzielle Größe in der Sache und weniger reputationsdienlicher Schein auf wissenschaftliche Karrierebahn.

 

Kultivierte Eindimensionalität: Es geht um Gefährdungen, ja, des Denkens, von manchen erlebt, die sich in einem falschen Film vermeinen. Es geht um das Phänomen der ‚verkehrten Welt‘, das in der globalen Welt einer zusammengerückten Menschheit größte Dringlichkeit bekommen  hat. Die Sichtfahrt vom eigenen Ausguck her, wie hoch auch immer, ist das Problem, bringt sie das der Sicht Entzogene für Manöververhalten nicht ein. So passiert das auch der monistischen Analytik, die sich thematisch konzentriert, besonders stark vermeint und kontextlos unbegriffen durch neue Wichtigkeiten ausgehebelt und weggeknickt wird. Auch Dialektik, die Einbeziehung einer kontextuellen Gegenposition genügt einem absoluten Denken noch nicht und entkräftet das gedankliche Leben in einer ‚verkehrten Welt‘ nicht. Eigentlich müssten wir unser eindimensionales Denken und Tun besser durchschauen und uns dagegen wappnen können. In gewisser Weise geschieht das auch, so, das Postulat,  sich in die Lage eines anderen zu versetzen, ja, um ihn für uns berechenbar und händelbar zu machen. Wir selbst für andere noch lange nicht. Verkehrte Welt, fehlt doch das Gegenseitige und Gleichwertige, der Sinn für das Flexible und Respektable, für ganzheitliche Übereinstimmungsfähigkeit.

 

Gadamer hat über Hegels ‚verkehrte Welt‘ exzellent nachgedacht, aber an Platons Höhlengleichnis die Jahreszeiten nicht als Lösungshinweis gesehen. Was die Geschlechtswahrnehmung angeht, hat ihn vielleicht die moderne Chromosomenforschung nicht erreicht, um in der komplementären Verkehrung einen alten Sinn der Selbstbeweglichkeit zu erkennen: Nächstenliebe wie Selbstliebe, dialogisch. Wir schmecken süß, vom Sauren kontrastiert. Wir sehen rote Farbe, komplementär unbewusst grün, haben stets den Vordergrund im Blick, müssen bewusst auf den Hintergrund umschalten. Nähe macht wichtig, Ferne entrückt. Das Umgekehrte für Nähe und Ferne gilt auch. Sinnlicher Horizont ist erlebnisbegrenzt, intelligenter Horizont  hängt vom assoziativen Fundus für Gedankenkreise ab. Schematismus der Interessen schachtelt ein: links – rechts, oben – unten, mittig – peripher, lokal – global. Wir leben in einer verkehrten Welt. Bleibt uns die unsichtbare,   unbewusst oder unvertraut, nicht auch zur Lebendigkeit anvertraut?

 

Um auf die Jahreszeiten zu kommen, dem Phänomen der ‚verkehrten Welt‘ par excellence, was die nördliche und südliche Hemisphäre angeht. Die südliche Hemisphäre mit entgegengesetzten Jahreszeiten ist in ihrem Wesen so unbekannt wie das unbekannte Wesen der Frau. Eine schöne Gabe und Zutat in nördlicher Winterzeit, südliche Sommerfrucht für den Genuss auf dem Esstisch zu haben. So sinnlich und anschaulich kann das Phänomen der verkehrten Welt aufleuchten. Kein Denkanstoß gegen jene eindimensionale Wahrnehmung, die uns als Denknuss ankommt, wenn die Grenzlinie der östlichen und westlichen Hemisphäre uns mit der Datumsgrenze in Überlegungen der Zeitfeststellung schickt und Aufmerksamkeit dafür erwirkt, einem größeren Ganzen anzugehören, von sich abzusehen und sich auf Ungewohntes einzustellen und überhaupt das Unterschiedliche der Teile zum Ganzen zusammenzubringen, auf Übereinstimmung und die sinnhaften Verkehrungen zueinander zu begreifen. Wir können nicht naiv unser Denken einfach auf die Erde loslassen, wie dieser Erde gerade geschieht,  ohne diese ganzheitlich in ihren Gesetzmäßigkeiten, ihren Zusammenhängen und ihrer Tragfähigkeit  für ein Leben im Einklang mit ihr wirklich zu kennen und zu achten.

 

Es tut ‚mathematische‘ Nachhilfe im weitesten Sinne  not. Gadamer ist verschlossen geblieben, hat nominalisierend sich der Explikation entzogen, nennt das Pythagoreische und Platonische, auch das Cartesische findet andernorts Einstreuung. Doch die gemeinverständliche  Explikation leistet er nicht, die uns heute so notwendig zum mathematischen Weltverständnis fehlt, um den menschlichen Gedankenhimmel für die universelle Vernunft in Bezug auf Natur – Welt  –  Mensch im Gedankenaufbau  begreifen zu können.

 

Es ist Platon, der den pythagoreischen Lehrsatz als Schlüssel der Rationalität, zur Formel geronnen,  wahrgenommen hat. Heutige Schüler der Mittelstufe lernen ihn und es ist stark zu vermuten, dass sie über Seiten-, Winkel- und Flächenmessung, den Flächenvergleich und einige andere erstaunliche Anwendungen der trigonometrischen Kunst nicht auf das Wesentliche von Welterschlossenheit gebracht werden: Die Vermessung und Berechenbarkeit unserer Welt überhaupt. Es machte der Sternenhimmel den Anfang. Sterne am subtropischen Himmel zum Greifen nah, die rein zu ungezählten Punkten werden, das Zählbare sind,  durch gedachte Linien schnurstracks verbunden und zu geometrischen Gebilden geschlossen  werden, vom Dreieck her immer wieder erweiterbar und andockbar, was die ganze Palette der Vielecke in allen Formen angeht,  sind und den ganzen sichtbaren Sternhimmel der Vermessbarkeit und Flächenausmessung erschließen. Wie im Himmel, so auch auf Erden. Eingrenzung, Herstellung eines Innenraums oder Framing ist das Wort für die daraus resultative Herstellung von Folgerichtigkeit, Schlüssigkeit und Ableitung. Ins Unbestimmte, Unbegrenzte und Unendliche  hinein ist keine Rationalität möglich, zerfließt alles ins Diffuse. Nicht nur Fläche der sich drehenden Himmelsscheibe wird im Dreiecksdenken berechenbar, auch irdisch der Körperinhalt als Pyramide, Gräber der Toten, Raumkuben und Quadergebilde, Wohnungen der Lebenden, ägyptisch als Exempel vor Augen gebracht, von den Vermessungen und Berechnungen des Himmels, was Winkel, Längen, Entfernungen, Höhen und Abstände betrifft,  nicht mehr zu reden.

 

Platon selbst hat sich über die  pythagoreische Rationalität auch durch den Kreis einen Namen gemacht, dem er für die Definition die Bestimmung einleuchtend formuliert und geliefert hat, dass alle Punkte seiner Peripherie gleichweit vom Mittelpunkt entfernt sind. Das Wesentliche des Kreises, am rollenden Baumstamm für Findlingstransport oder einfach am Rad aus Holz für einen Wagenkasten, vor allem aber an der Sonne und dem Vollmond wiedererkannt, ist der umkreiste Mittelpunkt im übertragenen Sinn, mit dem die Poliskultur als Mittelpunktwelt einer souveränen  Stadtgottheit auftritt, ein Stadtstaat, von einem Stadtvolk bewohnt, das demokratisch alle  Mitglieder gleichweit vom Mittelpunkt her für gemeinsame Zusammenkünfte, Beratungen und Entscheidungen denkt, sie  berechtigt und verpflichtet. Am Kreis erarbeitet Platon die Definitionsbestimmungen des Allgemeinen: Gattungsbegriffe, des Besonderen: Artbegriffe und des Einzelnen: Seiendes und liefert das Muster für Unterscheidungen des Seins und übersichtliche Bestimmungen der Dinge.

 

Mit Blick auf die biblische Arche in anderer Überlieferung geht es um den geschlossenen Lebensraum, der einer Bewährung ausgesetzt ist und diese besteht. Die Arche als Gebilde ist ein Lebensmodell inmitten der Natur, das rational durch Dreiecke oder einfach als Vieleck vermessen werden kann und  inhaltlich für Menschen, Tiere und Pflanzen zu einem selbstgeschaffenen, schützenden Innenraum unterm Himmel ausgestaltet wird. Das Begrenzende überwindet das Apeiron, das Grenzenlose. Das Leben in der Arche erschließt Rationalität, paarig, sozusagen kontextuell viehwirtschaftlich eingeflossen und für Fortbestand des Lebens mit daraus folgenden Gestaltungsmöglichkeiten in den Grenzen der raumzeitlichen Arche gedacht, die Menschen zu höherem Intelligenzgebrauch herausfordert, den Spielraum ausschöpft, Sehnsüchten, Reflexe  aus dem Leben im Apeiron, anhängt, dem verschwimmenden Fernblick entgegen, die Vogelperspektive der Ausschau bemüht, auf der Suche nach gefahrloser Lebensraumvergrößerung. Das Bild der Höhle scheint älter zu sein, der Exodus, heraus aus der Gefangenschaft, aufwärts zur Sonne, die Modernisierung zur Wohnstätte späteren Datums. Ja, in Wiederkehr des Gleichen, die Grenzen, die der blaue Planet steckt und dadurch die menschheitliche Rationalität, also schöpferische Intelligenz der Lebensgestaltung herausfordert, um das Überleben gegen die Gefährdungsmomente zu bestehen und schon im Voraus abzusehen, dass die Enge trotz wohleingerichteter Erdenhäuslichkeit nicht von Erkundungsflügen ablassen wird, den Griff nach neuen Sternen, nach himmlischer Vergrößerung der Spielwiese.

 

Gegen das Dreieck verhält sich die Rundung des Kreises sperrig. Was die qualitative Definition beider Figuren, ob flächig oder körperlich, angeht, so verhält sich jeweils die qualitative Bestimmung gegen die Größenbestimmung identisch, verliert nicht durch die Größenveränderung ihr Wesensmerkmal. Ein komplementäres Zusammenspiel kommt mit der Entdeckungsgeschichte der „Neuen Welt“ zustande. Die Annahme, dass die Erdengestalt kugelförmig sei, führt zum verwegenen Versuch, nämlich mit westlichem Seeweg die Probe auf die Richtigkeit zu wagen, Indien zu erreichen. Und für Segelschiffe bedeutet der Seeweg für windgetriebene Schiffe sich auf einen Zickzack-Kurs und himmelskundige Sternenorientierung einlassen zu müssen, weitab auch von der Vorstellung, was den wehenden Wind betrifft, dieser käme nur von achtern.

 

Ein anderes Momentum hat das Denken der Menschen beschäftigt. So ist an der Kreisfigur der Versuch unternommen worden, ihr durch Ecken und Kanten beizukommen. Doch das Runde und Eckige widersprechen sich für Erschließbarkeit auf Gegenseitigkeit. Bekannt ist die noch gebräuchliche, aber sinnentleerte Anspielung auf die Herausforderung, doch die Quadratur des Kreises zu versuchen. Selbstredend ist die augenfällige Unmöglichkeit, irgendwie durch einen Aha-Blitz aus einem Runden ein Eckiges deckungsgleich hinzubekommen und auch umgekehrt. Es ist immer wieder nur approximativ ausgegangen, also nicht gelungen.  Ohne Erkenntnisgewinn ist allerdings das Denken nicht geblieben, die umfangende Kreislinie in riesenhafter Vergrößerung durch winzige Miniquadrate, fast zum Punkt, zur Punktlinie werdend, aufzulösen. Kurzum: Das Winzige ist quadratisch geblieben.  Jedoch aus der Quadratur des Kreises ist die ‚revolutionäre‘ Entdeckung und Erfindung des Zahnrades geworden.

 

Eine Entwicklung von der Sonnenuhr zum mittelalterlichen Uhrwerk hin zieht Gewinn aus dem Ineinandergreifen der Zahnräder für die Zeitmessung. Das Uhrwerk als Modell stiftet die Vorstellung einer herstellbaren Welt als mechanisches Räderwerk für spezielle Verrichtungen, Kräfte der Natur einzuspannen, drehende Räder, miteinander verzahnt, die einem geschlossenen Ganzen die Denkbarkeit durch entlastendes und verzahntes und zum Ziel führendes Räderwerk schenken, sei es Wasser- oder Windmühle. Als Himmelsbeobachtung das Ineinandergreifen der zirkumpolaren Drehbewegung mit dem Tierkreis. Als Betrachtung der menschlichen Lebenskontinuität das Ineinandergreifen der generativen Kreisläufe der kollektiven Lebensgewächse, der jungen, mittleren und alten Generation, sei es physisch zeugungsvermittelt oder mental überlieferungsvermittelt. Neuzeitlich das Denken eines dynamischen Ganzen der Teile gar im übertragenen Sinn als miteinander verzahnte Kreisläufe, den der Naturgaben, den des Menschen in seinen Bedürfnissen und der vermittelnden Weltaktivitäten zwischen Natur und Mensch. Erste Hinweise darauf liefert die Bibel gedoppelt mit der Überlistung der mageren Jahre durch die fetten und mit dem siebten Jahr der Ackerbrache, mittelalterlich die Umstellung auf die Dreifelderwirtschaft. Das Kreislaufdenken macht Karriere. So viele Spielarten des Kreislaufes und neuen Mittelpunktsetzungen. Es avanciert sogar das Geld zum ‚Blutkreislauf‘ der verzahnten Wirtschaft.

 

Machtpolitik verhält sich pythagoreisch, die Kirchenwelt platonisch, vom Kreis her mittelpunktorientiert, gottesgläubig.  Mentale Geschlossenheit in Glaubensgemeinschaften erleidet die Friktionen des unbegrenzten weltlichen Macht- und Eroberungshungers. Den Ausweg aus irrationaler Einkapselung bringt Descartes, der das neuzeitliche Denken bestimmt.  Entdeckungen der neuen Welt sprengen das alte Weltbild der Scheibe und liefern den Beweis der Kugelgestalt und Descartes befreit die neue mathematische Denkfigur. Das Koordinatenkreuz. Es hat einen Mittelpunkt und eine Offenheit seiner sich kreuzenden Achsen, die, der Kreisfigur unterlegt, die Kreislinie durchstoßen und den Raum für Erweiterung und entsprechende Schenkeloperationen, für die Handlungswelt von Kurvenverläufen, für all das symbolisch erfasst, für Planung, Begleitung und Kontrolle, für Steuerung  eröffnen, ja, für Raum und Zeit,   für  Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft dem Denken auftun, die jeweils verkehrte Welt als Minus- oder Plus-Quadrant einholen, Kurven für Prozess und Resultat, Subjekt und Objekt und Idee erschließen und die coincidentia oppositorum auf schlagende Weise am Nullpunkt evident hervortreten lassen.

 

Mehr noch. Es ist das Yin-Yang-Weltsymbol unterlegbar und es sind die Übergänge der Gleichzeitigkeit, was die verkehrte Welt der südlichen und nördlichen Hemisphäre angeht für die entsprechenden Diagramme im Koordinatenkreuz interpretierbar. Unsere Herausforderung auf dem blauen Planeten für eine notwendige und anzustrengende Weltpolitik heute, nicht ohne Hegel, der dem Gleichungsdenken in Form der Sichselbstgleichheit eines doppelsinnigen Subjekt-Objekt-Verhältnisses auf den Weg gebracht, philosophisch verortet hat, nämlich die Einheit des Entgegengesetzten, also die Polarität – magnetisch, elektrisch, geschlechtlich -  als Lebensgestalt unserer Geisteswelt aufgegeben zu wissen. Die Fortsetzung, was den mathematischen Dreh- und Angelpunkte der Welt angeht, bestimmt sich im Weiteren durch die digitale Revolution, durch Zwecksetzungen in Bezug auf Algorithmen und als KI-Weiterentwicklung begriffen durch neue Mittelgewinnung für weltweite Herausforderungen des komplexen  Weltganzen, es faktisch für den Einklang der Naturgeschöpfe  mit der Natur selbst, für menschenwürdige Gerechtigkeit unter den Völkern  lebenswert  zu vermitteln und zu gestalten.

 

Die reine Formel der Formeln kann nicht einfach so für  mechanische, organische oder teleologische Anwendung verstanden sein. Es geht um den lebendigen Geist, um die sinnstiftende Erschließung und Erschlossenheit des Ideellen, nicht nur in der Form, auch im Inhalt, in Gehalt und Gestalt. Digitale Fertigkeiten in der Formelgewinnung sind nicht alles. Es kommt auch darauf an, was als „studium generale“ das Weltverständnis geweitet hat und vor Verengungen, Beschneidungen und Selbstabspaltung bewahrt! Die narrative Lesart des formalisierten Weltverstandes ist zur subjektiven Seite hin wesentlich, belebt Antriebe und Lockreize, stiftet Identifikationen dem Unterwegssein. Geschichten haben, sie sich erzählen können, sich einander darin wiederkennen können, Weltenbürger allenthalben, nun für die gemeinsame Welt, für den blauen Planeten.

 

Und da hat Hans-Georg Gadamer den hermeneutischen Anspruch auf Geltung erhoben, nämlich dem bloß Formellen des mathematisch Formelhaften die inhaltliche Sinnfindung für Selbstfindung aufzuprägen. Zu Recht. Doch auch hier darf schlussendlich das ganzheitliche Begreifen der Vernunftwelt in Wahrheit für neu zu Bewahrheitendes nicht ausbleiben. Das formell-technische nimmt sich roboterhaft aus, das inhaltlich-ethische differenziert ein wenig mehr, doch geht es um die Lebensgestalt, lebenswert begriffen, als der besungene Götterfunke.

Wiederkehr des Gleichen. Individuell, generativ, paradigmatisch, historisch. Wir alle, die der Welthöhle, floatende Akzidenzien der Substanz allenthalben, erneut am Höhlenausgang, geisterscheidend.  Widerstrebende, rückwärtsgewandte,  der alten Höhlenwand Verhaftete hier und die auf Befreiung drängenden Kräfte da, wagemutig sich mühend, vorwärts ins Offene, in ein neues Sonnenland des Weltganzen. Was ist uns aufgegeben für Wissen und Wollen, für unser Tun und Lassen, für Schritte und Weg, für  Findlinge und Begegnungen,  einem bloßen überkommenen Schlagen und Heilen entgegen?

 

Das Weltproblem zwiefältig und gegenwärtig: Corona-Tal der zu überwindenden Depression. – Unterm Himmel des auszuschöpfenden Kooperationsvermögens. Ein Dilemma unter der Voraussetzung: Das Problem als Konflikt der Hemisphären! Nous le verrons et le vivrons bientôt, vraiment!?

 

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