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Nachdenken können

Zeit für Goldstaub haben

Platons Höhlengleichnis

Sinndeutung

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Spiegelungen im Wasser, wunderschön, wie in Farbe gemalt, sie assoziieren und suggerieren uns positive Wahrnehmungen, keine negativen. Schon sich kräuselnde Oberfläche des Wassers lässt das Spiegelbildliche zerfließen. Dem Spiegelbildlichen hat das griechische Schönheitsideal in der Kunst das Anschauliche abgewonnen  und dem Schöpfergott eine Lektion in Sachen Nachhilfe geben, was denn der Mensch selber „schöpferisch“ durch Werke der Kunst hervorzubringen und gegen den flüchtigen Augenblick für Wert hält und festzuhalten vermag.

 

Spiegelbild des Narziss. Der Mythos lässt die männliche Schönheit leuchten, die als Selbstbewunderung hervortritt und in sich selber verliebt ist, in der Selbstliebe stehen bleibt, unfähig, die Liebe zu verschenken, sich in seinem „Gegenstück“ zu erkennen. Der Mythos liest sich krasser. Dieser Jüngling fühlt sich weder zu jungen Frauen hingezogen noch zu anderen jungen Männern.  Versuche und Bemühungen, ihn zu locken und aufzutun, prallen von ihm ab. Ein rätselhafter Ausfall geschlechtlicher Reize. Und keine Erklärung für das seltsame, egomane Verhalten. Was macht diesen überaus schönen jungen Mann, der sich generisch auffällig verhält, für eine Mythe festhaltenswert und für Neuauflagen bis in die Heutzeit hinein interessant? Eine Erklärung, aus den gescheiterten Anfreundungsversuchen geschöpft, liefe auf ein fehlendes Sensorium hinaus, weder vom mädchenhaften Reiz zu Geneigtheit noch von jungenhafter Lust des Erlebens angesprochen worden zu sein, eben keine Antenne dafür zu haben. Eine Art von Gleichgültigkeit lässt ihn die Bemühungen anderer nicht  wahrnehmen oder bringt ihn dazu, sie unwillkürlich als lästig abzuweisen. Er sucht nicht das Echo, es kommt bei ihm wie mechanisch und leblos an, ein Widerspiegelndes, Widerhallendes, wie verkehrte Welt, nicht zugehörig: Was willst du von mir? Ich mag das nicht!

 

Die Frage nach dem Warum tut sich auf. Hat das erblickte Spiegelbild im Wasser damit zu tun? Was hat er denn gesehen? Hat er einen Anflug von einem nächtlichen Traumgesicht in seinem sich spiegelnden Gesicht im Wasser gesehen? Worüber ist er überrascht und entzückt? Wen vermeinte er in seinem Spiegelbild  wiedererkannt zu haben? Ja, die Augen! Wie sahen sie aus? Da war doch was. Sinnend. Vielleicht sich als den Liebling der Mutter oder seiner Amme gesehen? Sozusagen ein Sonnenkind im Sonnenschein dieser ihn anregenden, hochziehenden und beglückenden Interaktionswelt von Angebundensein? Ein Leben, anregende Lebensfülle noch wie im Paradies, frei vom Buhlen um Liebe und Freundschaft, von Langeweile und Fron, von böser Ausweglosigkeit. Nicht nur räumlich Mittelpunkt von der Horizontsicht her zu sein, sondern auch im vertrauten Lebenskreis. Von daher ein genügsames Haften und Ausgerichtetsein im ersten Lebenskreis, ein Existieren im Geschenk, ohne zwischenmenschlich angestrengte Essenz und Selbstherausforderung aus den hinzugewonnenen Weiterungen, aus neu geknüpften menschlichen Beziehungen und gemeinschaftlich erwirktem und bewirktem Sonnenschein, durch mitbewirkten Anteil an dieser Lebenswelt erworben zu haben?

 

Unversehens die Endlichkeitserfahrung im Generationenprozess.  Verlust des Sonnengestirns. Plötzlich auf sich selbst verwiesen Grauer Alltag, anmutungslos, gäbe es nicht diese Innenwelt, die Wendung nach innen, nun des in sich Gekehrten, das Innenleben als Zwiegespräch. Außen vor und vorbei das fließende Leben. Hin und wieder ein verirrter Gast für Aufmerksamkeit nach innen. Am Ende seines Lebens erneut auf Echo gestoßen, dem Bumerang gleich, von ihm tödlich ins tiefste Mark hinein getroffen. Es ist die Neige des Quantums. Zu spät für Lebenswandel. Die bruchstückhaft überlieferte Lebensgestalt, sie ist psychoanalytisch immer noch ein dankbares Einfühlungsfeld fürs zeitbedeutsame Verstehen, aus Korrespondenzen von Gegenwart und Vergangenheit.  Steht Narziss für männliche Schönheit,  für den bloß nichtigen Schein, durch den Wirklichkeitsverlust im Kindheitsparadies entstanden, eben nicht dem Zwischenmenschlichen lebenserweiternd erschlossen und geöffnet worden zu sein,  so ist das weibliche Gegenbild an der Medusa zu gewinnen und schlussendlich die ungleiche Augenhöhe auf eine neue Reflexionsebene von männlichen und weiblichen Spiegelbildern zu heben.   

 

Weibliche Hässlichkeit tritt gorgonisch versteckt auf. Es kommen keine positiven Gefühle auf. Abscheulichkeit weckt Abwehr, lässt den Anblick meiden, lässt im Schreck des Gewahrwerdens den Hinschauenden erstarren. Wer ist die Medusa, die durch bloßen Anblick tötet, die fürchten lässt, Angst einflößt, ihr zu begegnen? Wie entschlüsseln und verstehen wir die Metapher, die dem Spiegelbild angehört? Aus heutiger Sicht würden wir sie mittelalterlich und noch weit in die Neuzeit hinein als schlimme „Hexenfantasie“ auslegen, die im Fortschritt schon einem menschlichen Wesen zugehörig ist, vorwiegend weiblich ist, sich märchenhaft erhalten hat und gar physiognomisch Merkmale des abstoßenden Aussehens aus der Antike übernommen hat. Springen wir in die Gegenwart und holen uns aus dem Kriegsgeschehen einige Menschen vor Augen, dann kann es passieren, dass der Anblick eines Kriegsversehrten, dem das Gesicht weggeschossen worden ist, „uns“ gefrieren lässt, vielleicht auch in positiver Weise ein tiefes Mitgefühl der Verbundenheit mit solch beschädigtem Leben auslöst. Vermutlich wird die Unerträglichkeit des schrecklichen Anblicks größer sein. Auch krasse Reaktionen können die Folge sein, sei es sich wegflüchten oder mitleidslose Äußerungen tun: zynisch, aggressiv. Gewappneter, eher gefasst, gleichgültig, abgestumpft: Für den Augenblick ein bloßes Registrieren, wir gehen vorüber, gehen weiter unseres Wegs, nehmen einen Eindruck mit. Das war‘s. Mehr nicht. So ist das mit der menschlichen Regung nicht in früheren Zeiten zu verstehen, schon gar nicht vor einigen tausend Jahren.

 

Den griechischen Kriegern war der gesunde, tüchtige und schöne Körper ihr Glanzstück. Und der Krieg hat durch Hauen und Stechen mehr als häufig dieses Glanzstück beschädigt und verunstaltet. Es macht dann einen Unterschied, die Hässlichkeit und Verunstaltung an anderen oder an sich selbst zu sehen. Medusa ist weiblich. Was hat sie verunstaltet? Was für ein Unglück hat sie getroffen? Hat eine Krankheit ihr Gesicht gezeichnet? Hat ein fürchterlicher Aussatz ihr Gesicht befallen? Wie nimmt eine junge Frau zum ersten Mal ihr von der Lepra oder Pest gezeichnetes Spiegelbild wahr? Trifft sie nicht der Schock, was ihr das Spiegelbild zeigt. Erstarrt sie nicht, weicht nicht das Leben aus ihr, erlebt sie sich nicht lebendig tot und fristet nur mehr das Leben ab? Wie kann sie sich unsichtbar machen, hinter welcher Maske verstecken, um nicht das gemeinschaftliche Leben mit anderen zu verlieren?

 

Die griechische Antike gab harte Antworten auf Hässlichkeit. Für Neugeborenes, schon von der Bewertung des Geschlechts her oder anders nicht gut befunden, stand kein Weiterleben an. Vom Schicksal im Leben getroffen zu werden, bedeutete Absonderung zu erfahren, verstoßen zu werden, der Liebe und Freundschaft nicht wert zu sein. Das Spiegelbild hat den Gedanken der Selbstbetroffenheit eingeholt und auf die heutige Zeit bezogen, es hat nicht nur einfach sensibilisiert, sondern übermäßig empfindlich gemacht und den eigenen Anblick im Spiegel, ja, den Blick in den Spiegel das Fürchten gelehrt und Blässe, Falten und Höcker zugleich einer Schönheitsindustrie erschlossen, sei es durch Makeup, Spritzen oder Operationen. Sozusagen eine antike Bandbreite an Tarnkappen, Masken und Zaubermitteln. Auf der herrschaftlichen Ebene die außergewöhnliche Schönheitspflege der Frau im Bad aus Milch und Essenzen nicht zu vergessen, die den Weg zur weiblichen Selbstpräparation im Spiegelbild bis in unsere Zeit hinein nimmt. Die Selbstliebe zum Spiegelbild kennt auch den Hass jener, die, aus welchen Anlässen auch immer, die Schönheit als Beleidigung und Demütigung erfahren haben, ihr unerreichbar und weidwund gegenüberstehen, niederträchtig auf Zerstörung sinnen und zum Säureattentat auf verhasste Schönheit bereit sind. Platon hat keine Antwort auf subjektive Gefühlslagen des Menschen gegeben. Das Wichtigste, das Selbsterleben des Menschen, seine Innerlichkeit ist noch sprachlos, hat für Selbstanfragen noch keine Antwort gefunden, die liebevolle Zuwendung von Mensch zu Mensch, das innige Moment seliger Zweisamkeit in Verbundenheit, Geste, Lächeln, Augenglanz, ein Geben und Nehmen.  Kunstgeschichte ist beredt. Körperliche Nacktheit von Praxiteles und Rodin: Haltung antik, aufrecht, in sich ruhend, Liebende modern, in sich gekehrt, verschlungen. So in sich verschlossen nimmt sich das auch heute noch aus. ‚Liebe‘, diese schwingende Frequenz der Lebendigkeit zweier,  kann nicht einfach geistlos stumm durch eine aufgebotene Schönheitsgestalt oder durch schmückende Attribute ikonisiert werden.

 

Zurück zu Narziss, um diesen Mythos grundsätzlicher zu hinterfragen und um  nicht am Facettenspiel in verschiedenerlei Hinsicht der Überlieferungen haften zu bleiben, sei es, dass er vor lauter Eigenliebe das weibliche Geschlecht verschmäht hat, auch nicht auf intimere Männerfreundschaft gestanden und an sich selber, alt geworden,  die welkende Schönheit wie den jahreszeitlichen Naturlauf der Narzisse  erlebt hat, vielleicht sogar schon den Selbstzweifel der Eigenliebe, was er denn an sich geliebt hat, sein Wesen hinter dem Schein oder den hinfälligen äußeren Schein. Uns Heutige verwundert mit Blick auf diesen Mythos die Wahrnehmung von Schönheit an einer männlichen Gestalt, die doch im Großen und Ganzen dem Refugium der Frau zugehört. Es sind Untertöne gegeben, dass Männer nicht schön sein müssen, sind sie es, werden sie nicht selten als Schönling abschätzig und nicht als Ideal von Mann gehandelt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Selbstzweifel sich zur männlichen Selbstliebe des Wesens, patriarchal ausgerichtet, entschieden hat, auf das hin, worauf es früherer Zeit in der Lebensgruppe angekommen ist, für Schutz und Geborgenheit vor Feinden und andere Bedrohungen zu stehen. Nicht so im Hinblick auf das Gruppenleben, was Frauen und Kinder angeht, die menschliche Nähe fürsorglich leben und pflegen und  für den generativen Fortbestand der Lebensgruppe beschützt werden und einen gesicherten Innenraum der Geborgenheit für die Lebensentfaltung erhalten.

 

Eine grundlegende Rollenverteilung ergibt sich aus der Bestandsfunktion in der Lebensgruppe. Der männliche Part ist wesentlich mit dem kriegerischen Tod konfrontiert, der weibliche mit der Pflege und Aufzucht des nachwachsenden Lebens als Selbsterweiterung, die durch die Liebe zum nachwachsenden Leben und zur Fruchtbarkeit durch den Gatten und der Begattung gegeben ist. Biblisch wissen wir, wie junge Frauen patriarchalisch ihrem künftigen Gatten versprochen und auf Reise geschickt worden sind, finden allerdings auch biblisch die Aufkündigung des männlichen „Ideals“ der Selbstliebe durch das neue und zuhöchst Gebotene der Nächstenliebe wie auch der Feindesliebe.

 

Verlegenheit ist gegeben, wie denn die Umwertung für die neue Schönheitswahrnehmung an der Frau geschehen ist und welcherart der zu erzählende Mythos wäre: Frau am Spiegel? Ob Make up oder Frisur, der Spiegel oder Klappaltar der Spiegelschau ist ein wohlfeiles Requisit im Frauenleben, nicht so bei Männern, die sich nicht als Ausweis der Schönheit für Frauen darstellen. Die reizvoll aufgemachte Schönheitsvorstellung obliegt den Frauen, als Schmuck und Zier, als Angebot und Einwerbung, als entfremdetes Wesen im noch bestehenden oder nachwirkenden Patriarchat, wofür die Schönheitsrequisiten der Frau und sexuelles Verfügbarkeitsdenken als Beleg gesehen werden können. Herrschaft und Wohlverhalten der Frau, der gleichen Augenhöhe entgegen.  Der Schminktisch mit Spiegelaufsatz, keine Sache des Mannes, er identifiziert die Frau offensichtlich, sich für den Blick anderer begehrenswert zu präsentieren. Dem Mann fehlt diese Offensichtlichkeit, wodurch er das Begehrenswerte für die Frau ist, sein will und sein kann.

 

Was würde ein Spiegel über ihn als Mann zum Vorschein bringen? Was weiß er über sich selbst? Welche Stimmigkeit hat das, wodurch er zu imponieren sucht? Überlieferte Rollenmuster sind fließend geworden. Wenn Überliefertes fragwürdig geworden ist, wie kann es dann noch leitlinienlos  zum glückenden Zusammenspiel kommen? Sich über Persönlichkeitsprofile einbringen, sie wie den Spiegel als Lebensrequisit mit sich führen, um sich gegebenenfalls spontan und unbefangen darüber austauschen zu können und sich einander wie zueinander hingezogen zu erkennen geben? Kann das  wirklich in einer Welt von Indirektheit und Abstraktion klappen? Anreißerstücke werben hier für das  Walküre-, da für Bachelor-Prinzip ein. Es geht um Zumutungen, was es heißt, sich preiszugeben und auszuliefern, Zumutungen an Nervpunkten zu erleiden. Profilpaarungen, wissenschaftlich gestützt, den geschlechtlichen Annäherungen unverfängliche Begegnungen zu ermöglichen, versachlichen, was keine Sache ist, aber gleichwohl in der Puzzlearbeit Bedürfnisprofile offenlegen, die nach öffentlichem Diskurs und politischer Berücksichtigung verlangen, kulturell an den Lebensbedingungen für das Gelingen von „Lebensglück mitzuwirken. Das „andere Geschlecht“ sind beide füreinander gewesen: Beauvoir und Sartre.  Erlebt hat sich jede Seite, für sich, dann sich austauschen können, das hat sie füreinander reuelos anhänglich gemacht. Vom Lebenswerten nach wie vor nicht zu sprechen. Von Spiegelungen des Scheins verlockt. Aufklärung nach Blindflugstrecken.  Sich zu erzählen haben. 

 

 

Die Spiegelungen im Wasser sagen dem Nachdenklichen mehr. Gehen wir auf den Naturspiegel zurück. So ist die Erfahrung des Wasserspiegels, dass er die schönsten Bilder malt, spielt das Wetter, der blaue Himmel und auch ein nicht allzu greller Sonnenschein mit. Wer hat nicht den Wasserspiegel im Sonnenlicht gleißen gesehen, Lichtreflexe, die wie kleine Fische knapp über die Wasseroberfläche tummeln und sich die letzten Meter vor dem Ufer zum sternenhaften Schwarm verwandeln und blinken und glitzern? Auch trübes Wetter entzieht den schönen Schein dem malerisch abbildenden Wasserspiegel, nicht weniger ein vom Wind und Sturm bewegten Wellengang. Selbst ein wolkenverhangener Himmel lässt den Wasserspiegel erblinden. Dies ist Hinweis für den Menschen, der zu sich kommen möchte, auf eine kleine Weile bei sich selber sein, in sich hineinschauen und hineinsehen und sich besinnen möchte. Er wird dem Wasserspiegel, dem er vom tiefsten Grund die aufsteigende Bilder entlocken möchte, abzugucken haben, dass daraus jedoch nichts wird, ist dieser noch nicht zur Ruhe und Stille gekommen. Wenn Affekte durchschlagen, regieren, nachwirken, Nachwehen zeigen, hochwüten, dann durchströmt den Körper Aufregung, jagen dunkle Wolken wütend am Himmel, geht der Atem heftig, stechen Gedankenblitze kochenden Zorns, findet nicht das Versenken statt, das Versinken im Wasserspiegel bis auf den Grund und das Auftauchen und Emporkommen, der Blick auf das noch aufgewühlte Wasser, immer höher steigend, unter sich ein immer sich stärker glättender Wasserspiegel, der schließlich im Stillleben verweilen lässt.

 

Von der Kehrseite der Spiegelungen zu vergleichbaren Aspekten im Hinblick auf die Dinge selbst, hin zu den Himmelskarten wie zur Idee des Guten, all dies,  nicht weniger das antithetische Moment herausfordernd. Unumstritten steht die Sprache als Mittel der Mitteilung, Verständigung und des Denkens da. Sie ist hoch gehandelt, als Gott zugehörig, als Wort Gottes, als Reflex des Innehaltens, Bildern und Stimmen im Momentum folgend, dem Menschen als Vernunftwesen entstanden und eingegeben, als Ausdruck seiner Lebenswelt im Fühlen, Tun und Denken. Biblisch wissen wir um das Negative, um die Sprachverwirrung, um Sprache, die nicht zusammenführt, sondern Sprachgemeinschaften voneinander entfremdet hat, das gemeinsame Band der Mienen, Gebärden, Gesten und Haltungen aufgehoben und sprachlich befremdliche Distanz geschaffen, Missverständnisse und Vorurteile begünstigt und Freundschaften zerstört und Feindschaften selbst unter „guten“ Nachbarn ausgetragen hat. Es ist die Sprache dem Leben nicht nur ein menschenfreundliches Haus des Seins und göttlich schon lange nicht mehr. Sie kann auch zur menschenfeindlichen Höhle der Entfremdung verwildern und dergestalt feindselig in Menschengruppen, Völkern und Kulturen hausen.

 

Das Schriftsprachliche und der Sonnenbogen haben in der Ausbreitung der Menschen über die Erde den physischen Turmbau in den Himmel für die noch größere Wahrnehmung eines Erdganzen bezwungen. Die Weltgeschichte gehe auf der Sonnenbahn von Osten nach Westen, als Befreiungsgeschichte, von der Tierheit des Instinktlebens zum Menschentum des Vernunftwesens. So Hegel, der mit einer ersten „Weltgeschichte“ der  Kulturgewächse aufwartet, den maßgeblichen Texten seiner Zeit die substanziell entwickelte Bewusstseinslage abschöpft und auf ein sprachlich vermitteltes Ganzes von einer  Höhe schaut, als sähe er vom gestirnten Himmel auf die Erde, auf Entwicklungsstufen des Bewusstsein, von China via Antike bis hinauf in die europäische Neuzeit. Schon alsbald gescholten für geistesgeschichtliche Sicht, für den Kopfstand, dem Stand auf den Füßen des Seins entgegen, zu sehr schon ein bereinigender Systemdenker, rechtsphilosophisch, der die Geschichte der brutalen Klassenkämpfe aus den Augen verloren beziehungsweise in seiner Rechtsphilosophie durch Staatsframing weichgespült hat. Und alsdann neu ein ideologischer Fortgang im Ringen um Weltveränderung, getragen von der Sprache, vom wahrheitsverlorenen Blick aller auf das, was schon für Platon das zu lösende Verständigungsproblem einer neuen Sprachsicht auf die Dinge selbst, die der Poliswelt, gewesen ist und von verführerischen Wunschbildern her mörderische Konsequenzen gezeitigt hat.

 

Was das Kartenbewusstsein angeht, bleibt Platon auf Ebene vager Anspielung stehen. Kernaussage könnte sein: Der Horizont um die eigene Lebenswelt weitet sich, verortet und ordnet sich. Das Hauptinteresse, was Neugier in Bezug auf Sitten und Gebräuche und Lebensbewältigung über sich hinaustreibt, macht die Begehrlichkeit auf Dinge aus, die anderswo wie eine Jagdbeute anzutreffen sind und die dann im Fortgang der Kundigkeit von räuberischen Kriegshandlungen zu Handelsbeziehungen und umgekehrt fortschreiten. Hier schließt sich sogleich die aufgipfelnde Idee des Guten an, die Platon thetisch gesetzt hat und die Sonne scheint konkurrenzlose Himmelsmacht zu sein, diese wie selbstverständlich für das Gute zu vereinnahmen. Wo sie als Urheberin doch nicht nur das Gute ist, sondern die Erde gar verbrennt oder wo sie durch ihren Entzug die Erdenwelt in Kälte erstarren lässt, da wird Gott ins Spiel gebracht, der dann die ideale Position übernimmt und alles zum Guten der Gotteshörigen wendet. So stellen das nicht die kartenähnlichen Skizzierungen der Welt da. Das Gute gehört dem eigenen Bereich beziehungsweise Kollektiv an, das Böse den anderen Bereichen oder Kollektiven, der fremden und unbekannten Welt. Was nicht Gottes ist, muss des Teufels sein. Der Teufel und das Böse werden anderen zugesprochen. Und Barbaren sind von Teufeln besessen und führen Böses im Schilde. Solche antiken Weisheiten sind nicht vergangen, sondern das zwanzigste Jahrhundert kannte und kennt in Fortsetzung auf höllische Weise, ohne abergläubisch zu sein, „Reiche des Bösen“ und vielerlei „Teufel“, nicht weniger schlimm in Heimsuchungen und durchlebten Todesängsten, wovon eindrücklich ein Arsenal an Ausdrücken für den aktivierbaren Sprachgebrauch zeugt, der menschliches Schicksal mit bizarren Schreckphantasien gespiegelt hat und auch weiterhin spiegelt.

 

Noch einmal die Kehrseite der Stufen der Selbstbefreiung, rein negativ gesehen, als eine neue Herausforderung im Leben der Menschen, als sei ein neuer Vermögensgewinn nur Segen und nicht auch zugleich durch einen Fluch bedroht, als kenne er keine Kehrseite der Medaille.

-   Schalengeheimnisse, rein äußerlich alles kennen, verborgen, was je der Kern ist, harmlos oder nicht

- Täuschewelt durch trügerischen und lügnerischen Schein der Spiegelungen, ob Schein oder Wirklichkeit

- Sprachgewächse der Verselbstständigung gegeneinander und Entfremdung voneinander

- Bewusstseinsweitende Himmelskarten, oberflächlich, irreführend und wahrheitslos

- Ideologien als illusorische Sonnen, die generalisieren und das Gute behaupten – für wen und für wen nicht?

 

Platonismus ist Dogmatismus, ist Verabsolutierung der intelligiblen Rationalität in Bezug auf empirische Erfahrungen von Anpassungsnotwendigkeiten. Der Mensch ist ein Werkzeug des göttlichen Verstandes, der für Gläubige Ewigkeitswert hat und mächtig Verlegenheit ausgelöst hat, ihn der Revision und Nachbesserung unterziehen zu sollen. Freilich ungeschmälert das Positive: Was für ein Fortschritt, sich nicht mehr der Natur unterwerfen zu müssen, sondern diese dem Verstand gemäß arbeiten zu lassen und zu verfügen, ebenso die bloße Anzahl von Menschen, sie nach den gegebenen Talenten für ein funktionierendes Ganzes dem Verstande gemäß zu fordern und einzusetzen. Allerdings: Dass der Verstand sich den Herausforderungen der Natur oder gar sich an dem Bedürfnis und Glück der Menschen auszurichten und anzupassen habe, ist noch nicht sonderlich im Denken Platons über die grobmaschige Gerechtigkeit der anvisierten Politeia-Welt hinaus zu finden. Ihm ist es wesentlich um Inkorporierung des gegliedert Gemeinschaftlichen beziehungsweise dem gerecht gefügten Ganzen der Teile zu tun.

 

Das Naturlokal ist Geschenk, umkämpft und unsicher. Es stehen Menschengruppen, mehr oder weniger lebensfähig in aufkommenden Stadtstaaten organisiert, gegeneinander. Die Vernunft ist noch nicht Urteilsinstanz in Bezug auf gebotene oder notwendige Angleichung, Austarierung oder Entwicklung der Teilgrößen im Wahrheitsganzen, sich auch mit der Natur arrangieren zu müssen. Für Platon ist das Entdeckte der intelligiblen Welt des Ideellen das Fixe und Festzuhaltende, das rational in sich Schlüssige, Unwandelbare und Verlässliche, auf pythagoreischer Basis.  Platon denkt sein Denken noch nicht. Er ist noch unmittelbares Denken. Das Denken des Denkens, als Nachdenken und Überdenken, bringt Aristoteles in neuer Einsicht ein: Plafond der Kategorien. Platon ist weitab entfernt vom Gedanken, auf Ambivalenz der anvisierten Stufen zu erkennen, Fluch und Segen zu überdenken und gegen schicksalhaftes Hin und Her zu wappnen. Noch weiter ist Platon vom Gedanken entfernt, dass jede Freiheitsstufe auch von einem neuen Höhlenbewusstsein bedroht ist. Wir wissen heute im geschichtlichen Rückblick mehr, wie gar unter dem Firnis von Kultur, Zivilisation und Fortschrittshöhe ein Rückfall auf Archaisches durchschlagen kann.

 

Die Gefahr geht von der überfallartigen Unmittelbarkeit aus, die auf jeder Fortschrittsstufe in anderer Kostümierung die Trieb- und Reizstruktur in Gang setzen kann. Denken wir noch darüber nach, was den Verstand durch Testosteron- oder Adrenalinschub ausklinkt, ihn durch Hormonausschüttung trübt oder durch vernunftlose Selbstbegünstigung in Dopamin ersäuft? Wer kriegt nicht sogleich ein gemeingefährliches, der Blendung erlegenes Beispiel oder auch ein anderes, den „kleinen“ grenzüberschreitenden Selbstkonzessionierungen zugeordnet, auf den Schirm? Selbst Menschen, hoch und hehr, erhaben, Galionsfiguren, scheinbar allen Schwächen entrückt, für Amt und Verantwortung zutrauenswürdig stilisiert, bleiben nach wie vor Menschen mit Schwächen und Stärken, sind nicht vor gewaltigen Fehlleistungen gefeit, so sehr wir auch dem reinen Schein der Untadeligkeit glauben möchten und gegen abstoßende Offensichtlichkeit anderer oder neuer Hoffnungsträger bemühen. Die Schwachstellen sind kein Geheimnis.

 

Nervpunkte der Streitbarkeit

- Mit dem Rücken zur Wand stehen

- Wie Freiwild gestellt werden

- Ausspielen der letzten Karte

 

Nervpunkte der Begehrlichkeit

- Gelegenheit macht Diebe

- Gemeinsam sündigt es sich leichter

- Schon in Gedanken beginnen Abwege

 

Nervpunkte der Redlichkeit

- Entgegenkommen ausnutzen

- Vorteilsbewusst etwas ablisten

- Machtstellung ausspielen

 

Es war Platon ein erster Hochschreiber und Bewunderer der mathematischen Stringenz für die Lebensführung und insonderheit für die Kriegsführung, die als Schicksalsmacht nicht so sehr über den Frieden, sondern vom Wohl und Wehe her entschied. Der Krieg, die Unberechenbarkeit eines feindlichen Überfalls waren Tagesordnung, der Frieden eher eine Atempause und schon wieder die Vorbereitung von kriegerischen Aktionen und neuem Krieg. Die Transformation, von tödlichem Krieg zu einem fairen und argumentativen Konfliktaustrag, lag noch nicht in Platons Denken. Noch weniger das integrative Moment wirtschaftlicher Ergänzungen, Kombinationen und Stabilisierungen auf Gegenseitigkeit, eine die Welt der griechischen Stadtstaaten übergreifende Offenheit für freiheitliche Vereinbarungen. Dieses auf Freiheitlichkeit gründende Denken gehört wesentlich der heutigen Zeit an, die Chancen zu gegenseitigem Nutzen und Vorteil zu ergreifen, ergreifen zu können. Allerdings die Gefahr ist groß, dem negativen Denken wieder zu verfallen, sich bloß vor Kriegsgefahren durch Stärke schützen wollen und dadurch zugleich die Friedensentwicklung durch ihre Schwächung beziehungsweise Nichtwahrnehmung verpassen. Die römische Entwicklung hat den kriegsführenden Weg der Gewaltsamkeit genommen und sichtbare Spuren dem Erkennen aufgegeben, vom Stadtstaat zum Imperium Romanum, einen Weg fortwährender Kriege und zwar bis in unsere Zeit hinein als Machtpolitik, neugewandet auf Eroberung, Diktat und Tribut hinaus.

 

Der Staat, ein sterblicher Gott im Hin und Her des Kampfes um Macht, Tribut, Gefolgschaft und Land, zugleich ein Phoenix zu neuer Lebenskraft, ob recht oder schlecht, wo Menschen vom Feuer des Gemeinschaftlichen nach Lösungen streben.  Im Himmel der jenseitige Gott für Menschen mit himmelschreiendem Ruf nach Gott, ihrem Jammertal und ihrer Ohnmacht abzuhelfen und gerechten Ausgleich zu schaffen, für die einen der Lohn, für die anderen die Strafe. Dergestalt die tröstliche Einbildung, die entschwindet, stirbt der Mensch hinweg, dem sie im Leben die Heilshoffnung auf ein besseres himmlisches Leben war. Es wurde die Unüberprüfbarkeit des göttlichen Heilslohnes wie die Bestrafung der in die Hölle gewünschten Übeltäter suspekt und die Frage nach der wirklichen Einlösung tat sich auf und rückte das Staatsdenken neu in den Mittelpunkt, nicht diesen sterblichen Gott, sondern den neuerkannten Staat, welcher der Bleibende und Beständige ist, der mehr oder weniger nachprüfbar einlöst, was der Gottesglaube unüberprüfbar mit jenseitigem Himmelreich schuldig geblieben ist. Wie Kunstwerke bleibende Meisterschaft sinnfällig ins Bewusstsein gehoben haben, schriftliche Überlieferungen die jeweils auferlegten Lebensgesetze dem unmerklichen Zerfließen und der herrschaftlichen Willkür entrissen haben, so auch das neue Denken des souveränen Verfassungsstaats, zur „zweiten Natur“ des Menschen, zu seiner staatsbürgerlichen Identität erhoben, in politischer wie geschichtlicher Verantwortung nach innen und außen für Überprüfbarkeit und Konsequenzen handlungsmäßig zuständig zu sein. Was politisch Innen und Außen heißt und zur Eingewöhnung geworden ist, das hat allerdings keine übergreifende Instanz des Integrierten und Integren, sondern ist dem Weltgeschichtlichen und dem sich daraus ergebenen und einstellenden Weltgericht überantwortet, sich wohl oder übel der Neuausrichtung stellen und diese sich gefallen lassen zu müssen.  

 

Der Fortschritt zu freiheitlichem Denken ist gerade aus den Geburtswehen heraus und gehört wesentlich der Neuesten Zeit an, den Vorteil kooperativer Chancen zu gemeinsamer Stärke zu ergreifen und pfleglich festzuhalten und weiterzuentwickeln Die schöne Seite des mathematischen Entdeckungsfeldes betrifft die Himmelsbeobachtung und  entsprechende Deutungsversuche, die den musikalischen Saitenschwingungen vergleichbar himmlische Gesetzmäßigkeiten unterstellen und via Monochord und Himmelsberechnungen das Ganze zur klingenden Sphärenharmonie der Planetenbewegungen fortspinnen. Von daher diese neuinspirierte ewige himmlische Friedenswelt der Musik, das Halleluja und das Sein der reinen Seelen bei Gott, dem Gott begabter Mathematiker, die den Sphärenklang mathematisch ausdrücken als innerliches Schwingen und Empfinden, als Traumauditionen komponieren und übersetzen und auch lautlos das Arrangement in sich vernehmen können. Wer wüsste nicht von tauben Komponisten und Musikern! Die Macht der Suggestivkraft  und Synästhesie ist groß. Wer wüsste nicht noch mehr von den eingängigen Musiken, von Dur und Moll, beschwingend und einschmeichelnd,  herzergreifend wehmütig, vom einfachen Lebensgefühl im Jahreskreis des Alltäglichen oder vom Majestätischen und Orchestrierten, von der geistigen Leittonspannung, die zum Aufbruch, dem Unterwegssein oder dann wieder zur Besinnung einlädt! Vom Spiel und der Wucht der Winde in der Natur, am Meer, auf Bergeshöhen, in Baumwipfeln, an Bächen und Flüssen, Impressionen für Expression. Musik ist der Spiegel der Seele, entführt in die Authentizität des Lebensgefühls. Neuzeitlich verspannt, zerreibend, schrill, chaotisch, durchblicklos, abstrakt, ein Übergang zum Neuerleben: atonale Musik. Woher bloß die unterstellten Eindrücke, was die Sphärenmusik angeht?

 

Eine erste Antwort ist leicht gegeben. Der Schluss der Analogie hat die apodiktische Gewissheit und Wahrheit geliefert und behauptet. So simpel die Beispielgebung mit dem Läufer, dem der Wind um die Ohren rauscht, dann die Wandelsterne am Himmel auf ihren Bahnen, Kometen, die mit Schweif am Himmel gesehen werden und die Schlussfolgerung nahelegen, dass sie, alle sieben unterwegs, einen Rauscheklang erzeugen, eine Sphärenmusik, die von mathematischen Gesetzmäßigkeiten abgeleitet sind, die am Monochord Schule gemacht haben. Die Sache ist tiefgründiger, betrifft die Entdeckung der Rationalität, in der sich Verhältnisgesetze von Physik und Mathematik wechselseitig lesbar machen. Konstellationen aus der Zahlenwelt, sie drücken auch Anlagen in der Naturwelt als Gesetzmäßigkeit aus. Die mathematische Ton- und Intervallvermessung der Musik lässt über die intelligible festgestellte Gesetzmäßigkeit staunen, die an den Dingen der Natur erkannt werden kann. Für Leibnitz wird daraus die prästabilierte Harmonie, die Gott (für Heutige: Evolutionsgeschichte) der Natur sozusagen mathematisch als Vorprägung, als ‚DNA‘, als auffindbare „Zahlengesetze“ eingeschrieben hat. Man betrachte daraufhin nur die Körperwelt der Lebewesen.  Mathematik vermag die Natur, wundergläubiger Phantasterei entgegen,  auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin konstruktiv zu untersuchen und auszuforschen.

 

Mit der aufkommenden Naturwissenschaft und der industriellen Revolution hat die Mathematik eine gewaltige Karriere in praktischer Anwendung gemacht und den Horizont des Menschen geweitet und ihn gar in den Weltraum geführt. Früher wie heute: Fernerliegendes schlägt hochmütig das Näherliegende. So scheint es zunächst. Der springende Punkt ist die Überprüfbarkeit von Dichtung und Wahrheit. Es lässt sich leichter über den Urknall ein Satz aufstellen als über meteorologische Phänomene etwas zu behaupten und sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Jedoch stehen aus hochgehängten und großen Thesen entstandene Glaubensätze mit märchenhaften Vorstellungen fortwährend in Gefahr bis auf das mathematische Knochengerüst hin entzaubert und der blühenden Fantasie geziehen zu werden. Was ist nicht zu Sternenmärchen einer bunten Vorstellungswelt und Fantasie geronnen und hat nicht die zugeschriebene Wahrheit und den Glauben an solcherart Andichtungen verloren! Es hat Gott sein überirdisches Himmelreich,  seine kosmische Wohnstätte verloren. Doch der Aberglaube ist groß, lebt vom  Schattenwurf vor langer Zeit, wirkt angstbesetzt nach, pendelt zwischen Höllenfeuer und Himmelreich, lebt vom eingeflüsterten Jenseits, letztlich von der Entscheidung, Unglaubliches zu glauben oder nicht. Platon hat nicht den Gottesglauben ausgerufen, aber doch die Idee des Guten inthronisiert und eine Dialektik des intelligiblen Weltverhaltens in Gang gesetzt, das seinen rationalen Haltpunkt an der Mathematik hat, als Realdialektik vom forttreibenden Widerspruch bewegt wird. Die Synthese als  Atempause vor erneutem Widerspruch.

 

Was die Mathematik der Pythagoreer als Neuerung zu Platons Zeiten revolutionär in Bezug auf die Polis in Gang gesetzt und auf den Weg gebracht hat, was alsdann zu einer „Wunderwelt“ technischer Erfindungen und märchenhafter Konsumtempel wie auch vom Zeitalter der technischen Zivilisation zum reellen „Griff nach den Sternen“ geführt hat, das hat heute mit der digitalen Revolution einen neuen Umwälzungsprozess für die Welt des blauen Planeten freigesetzt. Platon hat die „Politeia“ vom äußerlichen Aufbau und formellen Gerüst her gedacht und konstruiert, nicht das Inhaltliche, das Innere der Menschen, das gnostische Momentum, das auf die Subjektivität des Menschen, auf sein Innenleben setzt, für das  die Religion zur  Lehrerin  wird und das Christentum als eine geschichtliche  Seinswirklichkeit in die Geschichte eintritt.

 

Die intelligible Welt, diese übersinnliche Machtgröße, sich über intelligente Operationen zu betätigen, wegen Kompliziertheit und Undurchsichtigkeit von Ungebildeten als weltfremde Spinnerei abgetan, hat das sinnliche Leben zu einer Restgröße degradiert. Es hat die Sinnenwelt den zureichenden Grund verloren, im bloß Sinnlichen ohne eine innerliche Weise noch den Lebenssinn zu finden. Das Intelligente ist die unsichtbare Kraft, Macht und Stärke des Menschen, sich Gegenstände des Interesses anzueignen und drängt überall auf Triebverzicht zum Zwecke der Verdinglichung, hebt unmittelbaren Lebensgenuss auf, erlegt zunehmend einen Umweg der Vermittlung durch Beten und Arbeiten auf und zielt breitenwirksam auf Güterbereitstellung für Bedarfsdeckung, über klösterliches Zusammenleben hinaus, bildet sich marktwirtschaftlich nach Standards verinnerlichter „Software“, den handwerklichen und kaufmännischen „Bildungsqualifikationen“ und sucht sich im jeweiligen Lebensumfeld des Gemeinwesens auszurichten und zu verhalten. Fortwährend angetrieben oder angezogen von den waltenden Mächten hat der moderne Mensch das sinnliche Verweilenkönnen in eigener Gegenwart verloren und befindet sich im fremdbestimmten Laufrad wie ein aus dem Paradies Vertriebener, der in das bloße Betätigungsspiel der sinnlichen Lebensfunktionen nicht mehr zurückkehren kann. Die Spielwiese der Zeitvergessenheit ist gewesen. Die gesellschaftliche Gewinnung eines lebenswerten Freiraumes ist nur schwach vorhanden. Der Mensch ist nach wie vor der Gefahr ausgesetzt, er gleicht einem plötzlich Aufgescheuchten und Gehetzten wie das Wild, verjagt oder Beute anderer, geopfert oder erlegt, wiederkehrend in Unruhe gehalten, von der Sehnsucht nach dem Recht auf mehr eigene Gegenwart in stillen Momenten bestimmt, von diesem erfüllten und glückseligen Augenblick: „Verweile doch, du bist so schön.“ (Goethe) Vielleicht die wunderbare Auszeit vom Alltag oder die Träumerei vom Glückslos. Erde ist Jammertal. Der Blick nach oben,  himmelwärts: Sehnsucht nach der Himmelsmutter im Sternengewand, nach Schoß und Geborgenheit, Geflüster und Gewisper, nach dem guten Hirten der Schäfchenwolken auf der heiteren Himmelswiese!

 

Der gute Himmelshirte und die schöne Himmelsfrau, Aura und Sterne, solche anthropomorphen Akzentsetzungen und Überhöhungen leistet Platon nicht. Sein Sonnengestirn ist reine Rationalität, kein freundlicher, heiterer oder lustiger Sonnenstrahl, meteorologisch begünstigt, vom Himmel. Von den Nachtgestirnen gar nicht mehr zu reden. Die Sonne lacht nicht, sie lacht Menschen nicht sonnig ins Gesicht, verwandelt ihn nicht, ist kein Gegenpol zum gorgonischen Höllengesicht. Was steht nicht alles im negativen Sinn dem Menschen ins Gesicht geschrieben? Fratzenhaft. Fürchterliche Ängstigung. Todesschrecken. Das Schöne und Gute im Denken Platons ist ebenso in menschlicher Hinsicht „atmosphärisch“ ungebrochen, ausdruckslose Funktionalität. Das menschliche Antlitz erkennt sich wenig freundlich im Licht der Hervorbringungen, im Licht seiner Welt. Stoisch unbewegt, ernst und hoheitlich, gar verschlossen. Ein noch langer Weg der künstlerischen Darstellung zur sonnenhaften Gesichtswahrnehmung. Mona Lisa, versonnen mild, in sich selig, die Wende zum Lächeln, weg vom Gelächter der Beschämung, der Schadenfreude, der teuflischen Selbstverfluchung. Wer möchte in diesem zwiespältigen Wissen noch über die abgekehrte Seite der göttlichen Sonne näher Bescheid wissen und zieht nicht ein finsteres Loch im Wissenkönnen vor oder spaltet nicht dem himmlisch Göttlichen das höllisch Teuflische ab! Satanisten umgekehrt. Interpreten der platonischen Sonne, was treibt sie in ihren Deutungen in dieser schrägen Logik so gedankenlos wie mit Blindheit geschlagene Höhlengefangene um?

 

Was Gleichnis heißt, lädt zum Vergleichen und Auffinden von Einsichten ein. Haben wir richtig uns den gestirnten Himmel bewusst gemacht, wenn wir überholte Vorstellungsweisen bemühen, sie vergöttlichen, verabsolutieren, verewigen und fortgeschrittene Sichtweisen mit Blick auf den Himmel nicht gelten lassen und gar  abspalten, um sie nicht mehr an uns ranzulassen? Welcher Himmel ist gemeint, wenn wir himmelwärts blicken? Platons gestirnter Himmel ist eindeutig, er verweist auf den solaren Himmel, der mit den Jahreszeiten und einigen  anderen Sollizitationen mehr zu tun hat, nicht aber mit Gott, den vielen himmlischen Wesen, seinen Engeln und Heerscharen und Himmelsmusiken und all den Seelen der guten Menschen, die sich tugendhaft  bewährt und das Jammertal der Erde hinter sich gelassen haben. Wir möchten den himmlischen Phantasmagorien glauben, auch gegen unseren Verstand, der uns anderes über das vermeintliche Jenseits lehrt, auch wenn es  sich so schön singen lässt, „vom lieben Vater jenseits des Sternenzelts“ (Schiller: An die Freude), der noch nicht irdisch in all den zugeschriebenen Eigenschaften wirklich geworden ist und uns den kopfgeborenen Himmel in uns selber  wie auch den der vielen anderen, die kopfgeborenen Himmel der Kulturkreise,  sehen lässt.

 

Platons Himmelsblick ist durch die Sonnenbahn und dem jenseitigen Fixsternhimmel dahinter beschränkt, von Sonnensystem, Galaxis, von ungezählten Sonnen ist noch kein Wissen vorhanden. Sein Blickvermögen: Wie im Himmel so auch auf Erden. Platon ist dafür nicht zu schelten. So jedoch heutige Interpreten des Höhlengleichnisses mit verklärtem Sonnengestirn des Himmels, als hätte es seine Entzauberung mit der Landung auf dem Mond nicht gegeben, den Blick der Sternwarten auf Kraterlandschaften  und funkensprühende Feuerbälle, auch Schwarze Löcher und auf gefährliche Orbitvermüllung und zugleich auf exzentrischer Bahn der Blick auf den blauen Planeten so wunderbar zurück und schon konterkariert durch industriegesellschaftlichen Treiben und  Veränderungen des Erdkleides im Klimawandel. Die Erde wie ein Raumschiff ohne wirkliche Kommandobrücke auf der Umlaufbahn, von Meutereien, Befehdungen und kriegerischen Metzeleien, ob Unterdeck, Mitteldeck oder Oberdeck betroffen, von Autokraten, Diktatoren, und Despoten und anderswie Selbstzentrierten einer Utopie, Ideologie oder von einer unsichtbaren Hand Geleiteten. Letztendlich ein anarchisches Gewimmel an Selbstbehauptungen  unterschiedlicher Stärkegrade, die dem blauen Planeten die stete Gefahr des  Höllenausbruchs anmahnen, sich neu sortieren zu müssen. Biblisch: Woran das Herz des Menschen hänge, das sei sein Himmelreich! Atomar und hochgerüstet gesehen: Gefahrenliebe?! So wahr in negativer Dialektik diese Weisheit ist, hält sie das wirklich Positive von sich ab, um das Affirmative einer vernünftigen Friedensordnung im Einklang mit der Natur  und unter den Menschen und weltlich vermittelt und ausbalanciert zu gestalten. Wer vermag bei aller Weltpolitik mehr als ein stetiges Reiz-Reaktion-Verhalten mit vorantreibender Spiraltendenz und fahrlässigen Schicksalsverursachungen zu erkennen? Leuchtet dafür die innere Sonne und bringt Licht in diese verschattete Welt, um in Wahrheit zu den bestehenden Herausforderungen wirklich handlungsmächtig zu werden? Von so hoher Warte auf das Ganze ist keine Himmelsfreude mehr angesagt, sondern Betroffenheit: Schmerz, Zorn, Trauer. Wenngleich auch an Lichtungen der Hoffnung: Post nubila Phoebus!

 

Noch einmal und griffiger: Wofür  steht denn das Sinnbild der Sonne im Menschen selbst, inwendig, wenn es nicht beispielsweise die ernüchternde Kraterlandschaft des Mondes ist und nicht Frau Luna? Ja, es ist das Denken die Lichtquelle, es leuchtet und beleuchtet und erleuchtet, erhellt und klärt, orientiert, im Überdenken des Angelieferten: kontextuelle Schattenwelt, Spiegelbilder, Sprachdinge und Kartographisches, es gewährt fürs Handeln Besonnenheit im Tun oder im Lassen.

 

Die substanzielle Tragfähigkeit und Verlässlichkeit im Polisleben weiß Platon als maßgeblicher Denker mathematisch befestigt. Er macht dazu den philosophischen Aufschlag für die Relevanz, kann das Zahlenbewusstsein voraussetzen, was zählt und wie auch gezählt wird. Der Mensch selbst  als erstes Ausgangsmodell in der näheren Betrachtung, was als natürliche wie auch künstliche Einheit, Zweiheit, Dreiheit und so weiter aufgefunden und gezählt werden kann, als Anzahl auf ein Bestimmtes bezogen, anzahlmäßig vergleichbar anders, nämlich  gegenständlich, wie Hände, Füße, vierbeinige Tiere entdeckt,  gelernt und erinnert werden können. Und sozusagen  Einübung der Fünf für den Lernenden an fünf Perlen in Bezug auf  fünf Finger, ein Gelerntes des Lernenden, der dann auch in der Lage ist, für  die Fingerzahl einer Hand abgleichbewusst fünf Äpfel einkaufen kann.

 

In besonderer Weise hat Platon ein Interesse für den pythagoreischen Lehrsatz gehabt, der ihm in der Gesetzmäßigkeit von ableitbaren Zusammenhängen  zum Inbegriff der Rationalität geworden ist und das Dreieckdenken beflügelt hat, die sinnliche Welt mit der ‚Dreiecksbrille‘ anzusehen und es der trigonometrisch berechneten und  vermessenen Welt gegenüber  nicht an Neugier fehlen zu lassen und solcherart Rationalität philosophisch zu exponieren und bildungsmäßig einzufordern. Nicht weniger wichtig hat er im ‚Siebten Brief“ eine ausführliche Definition des Kreises besprochen. Die mathematische Definition ist eine Sache, die Sinngebung jedoch eine ganz andere, die auf viele Dinge eines Mittelpunktdenkens transponiert worden ist und sicherlich der antiken Poliskultur und nicht nur dieser durch Egomanie, Ethnozentrismus übel mitgespielt hat, selbst heute noch, vom autokratischen Hierarchiedenken zum  Kreisdenken des demokratischen Souveräns. Der Kreis steht für Geschlossenheit, an der sich offene Gesellschaft gegen nationale Abschottung reibt und nicht von der Stelle sich wiederholender Konfliktlagen kommt, sich veränderungs- und integrationsunfähig zu größeren Handlungseinheiten auf friedlichem Weg zeigt. Was doch im Kreis der Mittelpunkt oder die halbierende Schlange an Lesart einspielen kann.

 

Einen gewaltigen mathematischen Befreiungsschlag hat René Descartes gegen das Kreisdenken eingebracht, als er das Koordinatenkreuz eingeführt hat, das mit dem Quadranten I, bekannter als Diagramm, heute nicht mehr wegzudenken ist, da es eine wichtige Orientierungsfunktion für Informationen in Bezug auf  Sachverhalte übernommen hat. Die Relevanz, die von der revolutionären Sinngebung ausgeht, besteht in der räumlichen und zeitlichen Offenheit ins Unendliche verweisender Vektoren, schließt weder die Forschung  zeitlich zurück noch Vorhaben nach vorn durch bornierte Grenzziehungen und Scheuklappen ab, hier Forschung in die fernste Vergangenheit, dort Vorhaben für die höchstmögliche vermögensermöglichte  Zukunftsfähigkeit. Der Nullpunkt im Schnittpunkt der Koordinaten, sei er von Generation zu Generation gesetzt, wandert so weiter, von der zugewachsenen Integrationskraft, den Notwendigkeiten und Möglichkeiten, vom gegebenen Vermögen und seiner Reichweite, dem Erkennen  und  Wollen in Raum und Zeit zu vereinter Veranstaltungswirklichkeit des Vorhabens gespeist, für  besonnenes Tun und Lassen gut orientiert.

 

Und wiederum einen revolutionären Schritt weiter, über ptolemäisches Weltbild und kopernikanische Berechungsgrößen in raum-zeitlicher Offenheit wie auch den relativen Mittelpunkten hinaus: Hegels absolutes Mittelpunktdenken zum neuverorteten Vernunftdepositum, und zwar die geistige Einheit der Entgegengesetzten in Wahrheit als Aufhebung der  ‚verkehrten Welt‘ respektive  ihres stets unsichtbaren Pendants, ihrer Gegenhälfte.  Was denn kurz und bündig die ‚verkehrte Welt‘ sei, darüber hat es vielerlei verzweifelte Reflexionsanstrengungen gegeben, aber nicht den prägnanten Verweis, von Platon nicht auf die Jahreszeiten gestoßen, die auf dem blauen Planeten ins gegenläufige beziehungsweise sich als verkehrende Jahreszeiten in den beiden Erdhälften gegenüberstehen. Kurzum: Hier Sommer, da Winter. Ob Hegels Absolutum der Polarität, aus Magnetismus und Gravitation abgeleitet und mathematisch einlösbar, eine große Dauer beschieden ist, hängt von höheren Einsichten in Bezug auf höherwertige Knotenpunkte ab. Was Hegel das Polaritätsgesetz ist, hat das alte China als vieldeutiges Yin-Yang-Symbol, als Reich der Mitte unterm Himmel auf den Weg gebracht und als Inklusion gelebt. Anders die Historischen der mediterranen Konzentrik. Indiz für das Verhaftetsein in der ‚verkehrten Welt‘ tut für Heutige der inflationäre Gebrauch des Diagramms kund, dem doch, was das Koordinatenkreuz mit dem leeren Quadrant II zeigt, dass da eine Gegensicht, eine Gegenrechnung, ein Gegenstück ausgelassen worden ist, wie plötzlich aktuell die Besorgnis der Klimaveränderung auftut, dass nämlich in dieser Hinsicht kein Imperativ der ‚Einheit der Entgegengesetzten‘ für das Denken und Tun der nördlichen und südlichen Hemisphäre im übertragenen Sinn stattgefunden hat, etwas spät in den Blick gekommen und dennoch wieder aus dem Blick geraten ist. Der Vernunft entgegen, die doch die ganzheitliche Übereinstimmung der Teilwirklichkeiten  wahrheitsgemäß in der übergreifenden Einheit des Systemganzen fordert, das Erfassen des blauen Planeten, der die Menschenwelt trägt und Nachdenken darüber, das gestörte und zu entstörende Füreinandersein in Wahrheit!

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