top of page

Lichtwerdung und Sichtung des Weltbewusstseins

 

 

I/III

 

Von Geburt an, gerade den Schoß der Mutter verlassen, Eintritt in die Welt, das Licht der Welt erblickt, noch nicht die Welt selbst, sondern das Hellwerden und wieder Dunkelwerden, den Wechsel von Tag und Nacht, von Schlafen und Wachen. Dem Dasein begegnet. Den Anblick erlebt. Kein Staunen, keine Verwunderung. Mit Augenaufschlag einfach da. Nach plötzlichem Auftauchen und Begegnen ein allmähliches Sammeln von schönen Bilderbögen einer bunten Welt zwischen Aufgang der Sonne und Untergang der Sonne.

 

Plötzlich das eigene Schreien verspürt,  eine ganze Weile, schon fast wieder, schwächer werdend, in den Schlaf geschrien, von der Mutter aus der Wiege gehoben und zum Stillen an die Brust genommen. Zufrieden gesogen, der  Schmiegsamkeit hingegeben, aufmerksam auf Laute und Gesumm gelauscht,  eingeschlafen, in der Wiege wieder wach geworden,  Leere, Verlassenheit und Kühle empfunden, das Gesehene befremdlich, düster getönt, dann einfach losgeschrien, die Mutter herbeigeschrien. Bin geküsst, auf den Arm genommen, um schmust, geherzt und wieder gestillt worden, habe mit zufriedenen Lalllauten gedankt, mir das ‚Mama‘ entlocken lassen, mich an die Leine legen lassen und durch sie, in ihrem Windschatten  das Kinderparadies entdeckt, von Auweh bis Juchhei. Das Lied so nebenbei gelernt: Maikäfer flieg, …

 

Der Krieg ist aus, der Vater zurück, ein Unbekannter. Er lässt zunächst fremdeln, dann gehört er zur Familie. Er ist der große Andere, der bei den Geschwistern hohen Respekt hat und von der Mutter auch für den Nachdruck und für die Einhaltung der Ordnung im Haus eingesetzt wird. Die Woche über ist vom Vater nur wenig zu sehen, er arbeitet und schläft auswärts. Viele Kinder der Nachkriegszeit erlebten ihre Väter so. Eine bittere Zeit, um über die Runden zu kommen. Einige Geburtstage,  Feste und Veranstaltungen des überlieferten Brauchtums haben die Mitglieder der Großfamilie zusammengeführt, führten zu Gesprächen über Gott und die Welt und die Menschen, gaben den Eltern im geselligen Umgang und in ihrer Gefragtheit für vielerlei Dinge Profil, Stellung und Ansehen.  Erlebnisse, von der väterlichen Handschrift geprägt, kennen die Leidensgeschichte vieler Nachkriegskinder, manche sind unter der ‚Herrschaft der Mütter und Tanten‘ großgeworden und das Vaterbild hat hoch und hehr gewirkt oder es ist, wodurch auch immer, in den Verriss dieser Erinnerung gekommen. Der Alltag schleift die Dinge, lässt leben, kann aber auch unversehens elektrisieren und heikel werden. Als Kind ist man wesentlich ein mitlebender Zuschauer, anhänglich, wer oder was im Geschehen weniger angsteinflößend  zusammenzucken lässt.  

 

Unverstandenes meldet sich nächtlich, durchlebt Träume, rätselhaft wie hingewürfelte Puzzlestücke und unverständliches Leutegemurmel, viel später erst klare Szenenbilder mit hervortretenden Hauptfiguren, irgendwo eindrücklich tagsüber wahrgenommen und im Traumgeschehen leicht verfremdet vor dem inneren Auge habend.  Und dann plötzlich wieder Verrätseltes, dem Zauberlehrling gleichend, Künste, noch unbeherrscht, vom Höhenflug zum Himmel im Gewahrwerden der Unmöglichkeit, der Sturz auf die Erde zurück und unendlich lang kein Aufschlagen. Sozusagen: Ausgang offen. Einübung in das Steh-auf-Männchen!

 

Es hat keinen Spielplatz, Sandkasten, keine Schaukel gegeben. Belanglose Dinge für den Zeitvertreib im Haus. Die Mutter nicht bei der Arbeit stören. Im Haus gibt es ja so viel zu tun, als Kind heißt es zuschauen und still sein. Wie im Haus, so auch vor dem Haus, mit Blick auf die Straße, den Sitz auf den Hauseingangsstufen, Sonnenstrahlen warm auf der Haut spürend und wohlig vor sich hinträumen. Ein Blinzeln, den Blick gerichtet auf vorübergehende Fußgänger. Als Steppke ein einsames Leben unter älteren Geschwistern, als Nesthocker unter den Nestflüchtern.  Was für ein Erleben: Ein Mädchen mit Bubikopf hat bei der Mutter verfänglich angefragt. Wer versteht schon eine abgeschlagene Bitte, vielleicht von einem   missverständlichen Kindersatz ausgelöst, von einem kleinen unschuldigen Mädchenkopf vorgetragen: ‚Darf Yogi mit mir spielen? ‘  Wer versteht nicht ein Hauskind, seine Empfindungen, traurig und gepinselt zugleich, von einem kleinen beherzten Wesen als Spielkamerad begehrt gewesen  zu sein! Ja, im Leben gibt es viele solcher Momente, die ein Leben lang leuchten und gerne erinnert werden.

 

 

So viele Fallerfahrungen, die von den Trieben, der Begehrlichkeit und den Anreizungen ausgehen, willkürlich aufgegriffen, sich gemeingefährlich verwickelnd, schicksalhaft. Unbelehrbar die Reflexe, ihnen Zügel anlegend, sie in ein Joch bringen, schmerzhaft, ohne Zuckerstückchen für Lenkbarkeit. Der Nasenring macht fügsam und lenkbar. Ritualisierungen halten den unwillkürlichen Instinkt auf Bahn, kanalisieren seine Äußerungsgewalt. Heftigkeit hier ruft Gegengewalt da hervor: Herrengewalt. Ein weiter Weg zu mehr Leine, zu langer Leine für mehr Selbststeuerung durch Erziehung.

 

Wenn aus Eindrücken Bildung auf den Weg gebracht wird. Der Flüchtigkeit entgegen. Das Bleibende interessiert, das sich Wiederholende und zum Fortgang Bestimmte. Es ist ein anderes Sichtbarwerden des Bekannten, ein neues Belichtetwerden und Hervortreten von Details und Teilen aus dem Ganzen, ein Verknüpfen zu neu  entstehender Weitsicht. Aus impressionistischem Geflimmere tritt expressionistischer Schärfe und Strenge der Lebenswelt hervor. grob verortet und zeitlich eingeordnet, Spielwiesen und Tummelplätze, Alltagskerker und Winkelsuche,  Weltvorstellung als Strichkunst, Gedankenflucht, einfach verreisen, wesentlich die Jahreszeiten, Welt der Gewächse, Tiere, Menschen. Noch ohne den  Himmelskalender der Sternennacht. Noch kein Blick und Wink für das nächtliche Himmelsfenster, für die jahreszeitliche Stellung des Sternbildes um seinen Drehpunkt. Noch kein Verweis auf den Himmel in der wahren Bedeutung für das Erdenleben. Im Lied bloß besungen: Sonne, Mond und Sterne. Mondlicht, es lässt Sternenkinder träumen, Sonnenlicht, es lässt an Tagarbeit im Schweiße des Angesichts denken.

 

Gipfelaufstiege des Wissens laden ein, die bekannte Welt zu durchdringen, sie zu entdecken und zu verstehen, um ihre Möglichkeiten und Gefahren zu wissen und sich angelegen sein zu lassen.  Man kann ja nie wissen, ob und wann eines Tages die Kundigkeit im eigenen Alltag lebensbedeutsam wird. Und nicht wenige Wissensberge von Gegenden und Ländern, Zeiten und Geschichten, Menschen und Völkern tun sich auf, lassen eine Kopfwelt von aufgebotenen Kenntnissen und Erkenntnissen, gefragten Fähigkeiten und Fertigkeiten entstehen, die aus der erforschten Welt hervorgehen und in die gelehrte Welt eingehen, Weltveränderung vorantreiben.

 

Wissen, im Licht der Sonne gewonnen, es ist unermesslich riesig geworden, gleicht Ozeanen, mal friedlich, mal wild aufgepeitschte Wellen und Berge des Wissens, es gleicht Kontinenten, überzogen vom schmuckgewandeten Grünkleid der Wissensfelder, dann wieder gebrochen vom undurchdringlichen Dickicht, von Waldungen eines Wissensdschungels. Und so viele  Wüsten, weiße Flecken des Nichtwissens. Es fehlt die Übersicht des Ganzen und die Einsicht in das Gefüge. Es fehlt der Zugang zum Wesentlichen im überkommenen Bestand für den jungen aufstrebenden Geist in seiner Lebenswirklichkeit. Erstes helles Erkennen ist im Anfang erst ein Anfang für lebenslange Vertiefung und für besinnliches Beisichselbstseinkönnen in der Stoffdurchdringung, gediegenen Einsichten hinterher, auf das Ganze hinaus, erratische Erkenntnislücken zu schließen. Von verwahrloster Selbstpflege des Lebens durch obsessive Eindimensionalität nicht mehr zu reden. Das Glockengeläut, von der Sturmglocke zur Kirchenglocke, hat der Konkurrenz nicht standgehalten, wenngleich auch die Schulglocke weniger lieblich gerufen hat. Hat hier das Fegefeuer des Beichtstuhls eine gewisse Schwindsucht bewirkt, hat dort verheißener Aufstieg gezuckert. Es lohnt gewiss, darüber nachzudenken und zu vergleichen. Zusammengehöriger Sinn ergibt sich, vernünftig aufgefasst, durchaus aus beidem. Schon wieder zu neuer Höhe und sich ausdifferenzierenden Komplexen und plötzlichem Gewahren des Gegenläufigen, Entgegengesetzten, Herausfordernden.

 

Die Einstimmung auf die grafische Verdichtung zum nachdenklichen Verweilenkönnen sei hiermit getan, um über die hervorgebrachte Höhe von Erkenntnis und Wissen heute nachdenken und die gedankliche Wirklichkeit für das  Handelnkönnen begreifen , den  Stand der Dinge wie auch des Selbstverhaltens mit der begriffenen Wahrheit tatsächlich abgleichen  und  kursbestimmt ausrichten  und umsetzen zu können. Die subjektiven Prägungen, die vom eigenen Hintergrund eingegangen beziehungsweise unterschwellig erkenntnistreibend gewesen sind, haben mit der deutschen Geschichtssingularität zu tun: Größenwahnsinn, Vabanquespiel, Weltkrieg, Völkermord, eine Katastrophe, durch die Führerdekade in Szene gesetzt. Was ist da unterbelichtet gewesen, dass solche Verirrung und archaische Höhlengeschichte hat stattfinden können? Welche entfesselten Regungen des Menschen haben den humanen Schulterschluss verloren. Wie kann man noch die eigenen Eltern verstehen? Wer sind sie in dieser schrecklichen Zeit  gewesen?  Dumme, feige, herzlose Menschen, von Vorurteilen, Kriecherei und Selbstsucht Besessene? Mitläufer, Radfahrer, Betonkopf? Wer würde und werde ich gewesen sein?

 

Der Rückgang auf Ursprünge lässt die durch monotheistische  Religionskulturen Geprägten  an die göttliche Schöpfungsgeschichte, an Adam und Eva denken, an den paradiesischen Anfang, Früchte in Hülle und Fülle,  noch mehr Zeit für das Spiel der Liebe. Zu neugierig dann auf Erkenntnisfrüchte. Sündenfall.  Und ihren Sprösslingen entspringt tödlicher Anerkennungsdurst.  „Heilige Schriften“  spinnen die  zeitlichen Offenbarungen als von Gott inspirierte  Einsichten in den Geschichten fort und nähren nicht schlecht im geschichtlichen Fortgang mit dem Gottesglauben zugleich eine unglaubliche Hybris und eifersüchtige Niederträchtigkeit. Von der anderen Erdhälfte bringt sich antipodisch spät eine andere und nun nicht mehr abseitige, statarische Erfahrungswelt ein und dient sich der Welt an: China.  Das verursacht mächtig Schluckbeschwerden und im Westen entstehen Aufwallungen, die an Kain erinnern, vermeinen sich doch die Pharisäer der Liebe hoch erhaben über eine neue Konkurrenz, die „gelbe Gefahr“, die den Einbrechern und  Ausbeutern des Kolonialismus erfolgreich widerstanden hat!

 

Auch im Osten der Welt hat sich ein Lebenszusammenhang entwickelt und hat sich eine lebhafte Interpretation ergeben, das Leben zu deuten, streng symbolisch am Modell des Wesentlichen von Yin – Yang erklärt und lebensbedeutsam vorgegeben. Es ist durch besinnliche Betrachtung auf viele Erscheinungsweisen für unsere Wahrnehmung logisch nachvollziehbar, sei es, dass daran der Wechsel von Tag und Nacht, von Mondperioden, von Jahreslauf und Wiederkehr, von Licht und Dunkelheit, von Mann und Frau, von Stimmungswechsel, ja, das daran streng formell vielerlei erklärt und ebenso ableitungssicher gedeutet werden kann.

 

Es geht um bescheidene, einfache lebensbedeutsame Weisheiten, die der Geschichtlichkeit entsprechen, sei es, die Kunde vom Himmelsfenster, vom Polarstern, um den sich der Große Wagen  durch das gedachte Koordinatenkreuz dreht, das die Jahreszeiten am Nachthimmel wie eine in Feldern aufgeteilte Karte  festhält, die im entgegengesetzten Urzeigerlauf zu lesen ist:

 

(S)ommer – (F)rühling

                        I

                    -        -                      

                         I

     (H)erbst  – (W)inter

 

 Ich kürze ab und verweise Richard Wilhelm: „Chinesische Philosophie.“ Eine bessere geistesgeschichtliche Unterfütterung für das heutige China, das auf die Weltbühne drängt, findet sich deutschsprachig kaum. Wilhelm bringt das statarische  China als Gegenmittel zur Zügellosigkeit der kapitalistischen Produktionsweise in den Horizont, eine technische Entfesselung von Produktivkräften, die den Einklang mit der  Natur gebrochen und eine Verwilderung der weltweiten Zivilisation losgetreten haben und nun bar einer disziplinierenden Ordnungskraft sind, um aus diesem Teufelskreis selbstsüchtiger Unternehmungsmächte auszubrechen. Wie sich das kapitalistisch modernisierte China vernunftbestimmt im globalen Kontext positionieren und einbringen wird, steht aus. Vorurteile, Verdächtigungen und Abwertungen helfen nicht weiter. Sie sind Anzeichen für eigene Unbelehrbarkeit und für fehlende Offenheit im guten Sinne, voneinander lernen und gemeinsam im Bewusstsein der Freiheit fortschreiten zu können.

  

Der Übergang vom chinesischen Lebenszusammenhang in alter Zeit zur griechischen Antike gewinnt durch das hinduistische Indien über das grundlegende Familiensediment der Chinesen eine stabile gesellschaftliche Differenzierung hinzu, die als Kastengliederung des Lebensbaumes dieser Weltreligion entsteht. In Persien, durch die zoroastrische Religion auf den Weg gebracht, entsteht im Kopf die kultivierte Verinnerlichung des Widerstreits von dunklen Reflexen und lichten Eingebungen, als verinnerlichter Kampf der Mächte von Gut und Böse. Solche Innenwelt hält das Volk Israel als einiges Gottesvolk zur sich überliefernden Volksgeschichte fest, als fortwährenden Kampf, und zwar hinsichtlich der Treue im Bündnis mit Gott und in den Gottesgeboten gegen Versuchungen, die von Lüsten auf Weiber, von der Gier auf Reichtümer und vom Ehrgeiz auf Ämter und Machtstellungen, ja, von eintrachtssprengenden Stammesinteressen ausgehen.

 

Die gnostische Einkehr ist nicht die wesentliche Sache der Griechen. Kleinere Handlungseinheiten und ein lebenswertes Gemeinwesen sprießt im Wesentlichen kraftvoll und (kriegerisch) wetteifernd, von Künsten und Festen und philosophischen Lehrern  inspiriert in die Höhe. Was findet sich nicht bei den alten  Griechen an noch heute nachwirkenden Errungenschaften wieder! An dieser Stelle sei besonders das kategoriale Erfassen der Lebenswelt vermerkt, das Abstreifen des Sinnlichen und das unbedingte Elementarisieren des Werks grundsätzlich: gedanklich, ideell.  So denn, was noch heute durch die vier Kausalitäten, lateinisch geschliffen,  festgehalten wird, die, angeleitet vom Gedanklichen,  in der Zusammenführung und Umsetzung die Arbeit am Werk vollenden lassen:

 

  • Causa materialis

  • Causa formalis

  • Causa finalis

  • Causa efficiens

 

Exempel wie Kronzeugen dazu sind antike Bauwerke, Weltwunder, die von der Größe menschlicher Kunst erhabene Wahrzeichen aufgerichtet haben. Was den Geist der großen Meister beschäftigte, ist zur Schüleraufgabe, zur Einübung in die Gegenstands- und Vorgangsbeschreibung abgesunken, sei es, ein Töpferwerk auf der Drehscheibe oder römisch anspruchsvoller: Justitia – die  Augen verbunden, hochgehalten die Waage der Gerechtigkeit, in der anderen Hand das Schwert.

 

Zu den großen Leistungen der griechischen Antike gehört die Mathematik, ihre philosophische Adelung. Der Satz des Pythagoras revolutionierte das Denken, gab das Musterbeispiel neuer Denkfiguren ab, aber auch den trigonometrischen Schlüssel neuer Vermessungskunst. Strenge Rationalität kehrte gegen das bloß mythische und augenscheinliche Auffassen ein. Was für ein Aha-Erleben, das Augenmaß überboten und bewiesen zu bekommen! Wie manchen heute das Dollarzeichen aus den Augen leuchtet, so die Auflösung der irdischen Welt durch lauter kleine Dreiecksmuster.  Maßzahlen, Gleichungen, Winkelberechnungen in Ableitbarkeit, Schlüssigkeit und Verwertbarkeit kamen einem geistigen Weltwunder gleich. Und die aristotelische Logik legt mit dem klassischen Urteilsquadrat nach, was die Überprüfbarkeit von Aussagen in der Stimmigkeit angeht,  ob sie konsistent den logischen Verhältnissen (konträr, kontradiktorisch, subaltern, subkonträr) entsprechen oder ihnen nicht entsprechen. Es geht mit Blick auf Allaussagen und Existenzaussagen darum, was sein und nicht sein kann, sich ausschließt oder ergänzt, sich widerspricht oder folgerichtig ist. 

 

Der Dialektik legte Platon mit den sokratischen Dialogen, mit seiner Hebammenmethode ein schönes Zeugnis durch viele Kostproben ab, weniger auf Theorie denn auf praktische Anwendung im fragend-entwickelnden Gespräch hinaus. Noch nicht das Gespräch auf gleicher Augenhöhe. Es vollzieht sich in der Weise wie zwischen einem Erwachsenen und einem Kind, das geschickt zu einer Lösung geführt wird, von der es glaubt, sie selber gefunden zu haben. Zu  Martin Buber, der das dialogische Prinzip thematisiert hat und Emmanuel Levinas, der auf das menschliche „Antlitz“ abgehoben hat, ist noch ein weiter Weg. Reflexiv sind beide der Dekonstruktion bedürftig. Was Vater, Mutter, Kind angeht und abstrakt als ‚Ich – Du  - Es‘ überschrieben werden kann, ist nicht von der Idee des Lebens her begriffen und exemplarisch  von der menschlichen Entwicklung und Kontinuität des Lebens her vernunftbestimmt verstanden. Der Vatergott  lebt kryptisch  fort.

 

So ausführlich sollte nun die Animationshilfe zum Schaubild nicht werden, darum nun für die Strukturkomplexe „Sachbewusstsein“ und „Selbstbewusstsein“ bloß der Hinweis auf  Hegels „Phänomenologie“, auf die beiden ersten Gestalten auf dem Weg zur Vernunft, die uns heute zugleich den Draufblick auf unsere Welt geben, auf das Erfassen der Großen auf der Weltbühne, neu vor Herausforderungen der Beständigung ihres Seins gestellt, von Rivalität, Konkurrenz und Buhlerei bedroht. Die digitale Revolution könnte den Fortschritt der „Staatsbildung“ nicht nur unterstützen, sondern sie geradezu auf den Ausbau eines nahezu äußerlich perfekten Weltgebäudes bringen, gäbe  es nicht den Flickenteppich widersprüchlicher Mentalitäten der Menschen und Völker, organisch gewachsen und nicht technisch-apparativ mit Umlegen eines Schalters und Vertrages zu handhaben. Hegel war sich gegen phantastische Siebenmeilenstiefel, Luftschlösser und Gedankenspiele der raumzeitlichen Realität bewusst, dass die Fortschritte in der weltgeschichtlichen Dimension nur langsam vonstattengehen und dass angesichts der Komplexität nur schreckliche Vereinfacher schnelle Lösungen kennen, an Machtstrategien und Kriegsglück glauben und zu lähmen, zu zwingen und zu zerstören suchen, Lebenskräfte aufsaugen,  nichts hervorbringen, sondern bloß friedlos, zum Krebsgeschwulst geworden, Gewalt ausüben, den Tod austeilen und Verderben hinterlassen.

 

Die derzeitige Weltlage kann durchaus mit einem anarchischen Igellager verglichen werden. Friktionen, die da sind: sich schmerzhaft reiben, auch anfeinden und kleine Wunden zufügen, um nicht die große Katastrophe heraufzubeschwören, sind der neue Preis, der zu zahlen ist, wenn Regelungen  zu neuer Koordination, Kombination und Kooperation ausbleiben, auf sich warten lassen. Allerdings ist die große Gefahr nicht gebannt.  Immer wieder finden sich konterkarierende Momente: Leichtsinn, Übermut, Ungeschicklichkeit, Hinterlistigkeit, Unbelehrbarkeit,  die das anvisierte befriedete Zusammenspiel unterminieren, auf Winkelzüge aus sind, Sand ins Getriebe streuen und Konzertanzanstrengungen scheitern lassen.

bottom of page