Höhlenphilosophie
Philosophen haben es nicht so mit dem vorsprachlichen Leben. Sie sind vielleicht zu sprachbegabt und auch kommunikativ recht förderlich und beflügelnd eingebettet. Und es ist dann die Dominanz der erworbenen Sprachfertigkeiten, die übermäßig zum Tragen kommt und dadurch verbildend wirkt, um überhaupt noch Erinnerungen an erste Bilderwelten aus Kindertagen zu haben beziehungsweise diesen Stummfilm abrufen zu können. Was Platons Höhlengleichnis angeht, sind Philosophen auch weniger interessierte Höhlenforscher gewesen, nicht einmal sinnierende Selbsterforscher ihrer eigenen Kindheit. So scheint es zu sein.
Sie schwelgen häufig genug sogleich in der Sonnenwelt hochsprachlicher Weltvorstellungen und kleben an Wörtern, sogar in mehreren Sprachen und haben sich vom Selbsterlebten und Selbsterleben abgespalten, sind wortdogmatisch geworden. Das Wichtigste ist ihnen entgangen, haben sie nicht vertiefen und begreifen können, nämlich was die Genese, die Dynamik, den Fortschritt der Lichtwerdung in der Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Lebenswelt von Anfang an betrifft. Ihre Lücken sind so groß, wie und zu was zeitraffende Wörter Geschehnisse, Ereignisabläufe, Dinge und Eigenschaften verdichtet haben.
Sprachtalente gehen mit Resultaten um und haben weniger Ahnung von den treibenden und lockenden Kräften im Prozess der Gärungen selbst, sind hilflos im Sprachgestell gefangen. Versagt die sprachliche Schlüssigkeit, stellen sich Widersprüche von unbegriffenen Übergängen im Fortgang des Geschehens ein, das sprachlos bleibt, aber nach klärenden, ordnenden und schlüssig belichtender und verbindender Sprache verlangt. Nachdenklichkeit und tiefes Sinnen tot not, Rückvergewisserungen des tatsächlich Erlebten und Wahrgenommenen. Blume, die Rose, nicht Kresse. Worauf spielt „Blume“ an, welcher Hinweis steckt im Wort? Same – Keim – Wurzel – Stängel – Knospe – Blüte – Frucht. Neuer Same. Neuer Anfang. „Unendlicher“ Fortgang.
Ich räume ein, Platons Höhlenbeschreibung macht es der Auslegekunst nicht leicht, um nicht zu sagen: Häufig rätselhaft! Es ist der Sinn nicht aufzufinden und wo er auf der Hand liegt, drängt er sich nicht auf, wird ohne Aufmerksamkeit übergangen. Indes kann die Schwierigkeit der Einfühlung, des Verstehens und des Begreifens geradezu als Kriterium genommenen werden, inwieweit die intelligente Auseinandersetzung für die Neuzusammensetzung noch über die notwendige Bodenhaftung verfügt, ein Verweilen an der Sache gehabt hat, um überhaupt rational und vernünftig genannt werden zu können.
Platon hat das Höhlendasein aus der Perspektive des Sprachmächtigen begleitet und bestimmt, spielt für das Wiedererkennen Angaben ein, die das Selbsterlebte, das noch unverständig und unvernünftig ist, aus der Erinnerung wachrufen und auch vor das Auge und ins Gehör bringen soll. Auftauchende Reize und Situationen, nur instinktiv und reflexhaft als Reiz-Reaktion-Verhalten gelebt. An der Oberfläche. Flüchtig. Doch Platon hat eine wichtige und unabdingbare Größe im Höhlenleben ausgelassen, dem Selbstdenken überlassen, keinen Wink mit dem Zaunpfahl gegeben. Später mehr dazu. Aufhellend.
Das Verrätselte und Schwierige für die Interpretation: Zu verstreut die Fundstellen und zu langwierig für das Auffinden von Stellen im Gesamtwerk, um dadurch für das unmittelbare Interesse am Höhlengleichnis eine Hilfestellung erfahren zu können.
Ich fasse mich kurz, da an anderer Stelle des Accounts ausführliche Interpretationen zum Höhlengleichnis bereits vorliegen. Es geht hier um
Fesselungen direkt
- Höhlenwand: Schattenspiel
- Schenkel: Leidenschaft
- Nacken: Ehrgeiz
- Blick: Richtungsstarre
Kindheit impliziert
- Menschenkind: Geburt
- Eltern, Amme, Geschwister, Kohorte
- Geleit: Gehegt und gepflegt oder verwahrlost
- Ort und Zeit: Umfeld in der Polis, ca. 400 v. Chr.
Befreiungsversuch
- Nahtstelle: Höhlendunkel – Lichtwelt
- Lichtgefahr: geblendet, erblindet
- Selber erfolglos: zufälliger Dreh
- Gewaltsam und erfolglos: Objekt der Begierde
- Lehrperson und Zögling: Subjekt für Zuwendung
Höhle impliziert ein Halbdunkel, ein Zwielicht
- Tönung: vielleicht lustig hier, mehr fürchterlich da
- Platons Höhlenwelt im Halblicht – wie Karneval denkbar
- Höhlenwelt des Trophonios – wie Halloween sicherlich
Imponierend stellt Platons Höhlenhandlung die dramatische „Periagoge“ dar. Sie bringt die Lichtvariante des Höhlenausgangs ins Spiel, den Weg ins Freie, ins Licht, das schmerzhafte Geblendetsein, die Rückwendung zu den wohlvertrauten Schatten. Es fehlt die Dunkelvariante, das Auftauchen spukhafter Schemen und erschreckender Geräusche, das Ende des Schreckens und Wiedereinsetzen des gewohnten Schattenspiels an der Höhlenwand. Für die trophonische Orakelhöhle ist das „ große Furcht erleiden“ sprichwörtlich geworden! Von Timarchos wird eine Gruselszene berichtet:
„Die See schien teils sehr tief, teils ganz seicht, zwei feurige Ströme füllten die Wasser mit weißem Licht, doch in der Mitte sah er einen Abgrund, tief, tosend und von Dunkel erfüllt, aus dem ein Heulen und Bellen von Tieren, Weinen von Kindern und Stöhnen von Männern und Frauen und alle möglichen anderen schrecklichen Töne herauf drangen, doch wie gedämpft und aus weiter Ferne, was ihn sehr entsetzte.“
(Trophonios https://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/1414004)
Was Platons Höhlengleichnis nicht liefert, hätte die eigene Erinnerung und Selbstbefragung einspielen können, wenn nicht, könnte auch die Märchenbekanntschaft weitergeholfen haben, von einem, der auszog, um das Fürchten zu lernen. Das Märchen, sei es auch als Märchenfilm, leistet eine Nacharbeit all der unverdauten Erlebnisse, die verzerrt, schief und grauslich verstellt gespiegelt worden sind und zischend, greinend und quiekend Laute aus dem Dunkel und der Stille zu Gehör gebracht haben, um Ängste zu wecken, auszulösen.
Im Ernst, die kindlichen Ängste, im Höhlendunkel entstanden, sind nicht mit dem Weg ins Freie, ins Offene, ins Licht der Sonne aufgehoben, wenn sie denn nicht aufgearbeitet worden sind und sich dem Licht haben stellen müssen. Und in großer Mehrzahl werden unterschwellig die unheimlichen Spukgestalten mitgeschleppt. Im Dunkel der Nacht sind die Fantasien beim Rascheln im Laub zurück, beim Wind in den Zweigen und den Gesichten im Unterholz. Sie lassen schauern und zusammenzucken. Erwachsene tun vor Kindern so, als hätten sie keine Angst, als scheuten sie nicht den nächtlichen Gang über den lichtfahlen Friedhof und dann können sie sich mit angestrengtem Blick in die Finsternis eines Gebüschs hinein beim Ertönen der mitternächtlichen Glockenschläge des kalten Schauers über den Rücken doch nicht erwehren und atmen erleichtert auf, wenn sie wieder im Licht der Straßenlaternen gehen können.
Wer das Ganze als Aufgabe für die Kinderpsychologie abtut, hat nicht begriffen, dass solche „Urängste“ schicksalhaft selbst in höchste Entscheidungsprozessen hineinwirken und Urständ auslösen, wo etwas auf dem Spiel steht, wo man ins Risiko geht und Konsequenzen gespenstisch zwicken und zwacken, unleidlich machen, ja, wo Wahnvorstellungen zu geistern beginnen, gar ganze Bevölkerungen erfassen und Kollisionen der Auffassungen verursachen können, Zerspaltung bringen und einen Kampf mit Phantomen des Verdachts, der Linie und des Übels veranstalten, wo Heißgelaufene als Abgeblitzte gegen die von ihnen ausgerufenen Hexen ausfällig werden oder für eine eigene reine Weste Sündenböcke suchen, um von sich, von Schuld und Versagen und Verantwortlichkeit, abzulenken. Es sind hier Höhlenprägungen der „Seele“ am Werk, Bildungsversäumnisse, nicht aufgearbeitete Schattenängste, spukende Schemen und Geräusche, Qualen von Erlebnisspuren aus der Vergangenheit.
In der Kindheit entstehen instinktgeleitete Grundstimmungen, findet zunächst die Grundierung des Lebensgefühls statt, das verspürte Selbstgefühl von Hoch und Tief als Voraussetzung für das Selbstwertgefühl auf der Stufe der Spiegelungen, der reflexiven Selbstwahrnehmung. Im Vergleich zu heute wissen wir nicht viel und in welcher Breite früher in anderer Geschichtlichkeit behütete Kindheit und mütterliche und väterliche Geborgenheit und Förderung der jungen Lebensregungen stattgefunden haben und welchen Anteil die Großgruppe als Schutzraum gehabt hat. Es bleibt für den pädagogischen Wissensstand noch viel nachzuforschen. Manchmal sogar zeitnah, nachbarschaftlich oder im eigenen Land.
Wesentlich lässt sich festhalten: Die Einflüsse auf das Lebensgefühl vermitteln sich atmosphärisch und folgen ungewusst dem natürlichen Jahreslauf. Die Lehre von den Temperamenten legt späterhin, schon bewusster Wahrnehmung zugänglich, Auffälligkeiten erster Ausprägungen dem Bewusstsein frei, die über lange Zeitläufte entwicklungsgeschichtlich geworden sind, die der Umgänglichkeit und Verträglichkeit in Reibungsprozessen den Schliff gegeben und alltägliches Verhalten miteinander ermöglicht haben. Ausprägungen der Temperamente zu den Elementen wie Jahreszeiten anstoßweise:
- Sanguiniker – Luft: feucht, warm – Frühling: lebhaft, leichtsinnig
- Choleriker – Feuer: warm, trocken – Sommer: initiativ, reizbar
- Phlegmatiker – Wasser: kalt, feucht – Herbst: verträglich, träge
- Melancholiker – Erde: kalt, trocken – Winter: beständig, schwermütig
Im Internet abzurufen: https://www.mini-and-me.com › temperamentenlehre-wie-wir-die-vier-...
Die Jahreszeiten gehören wissensmäßig nicht der Höhle, sondern dem solaren Prinzip im Licht der Sonne an, spielen insoweit im Höhlendasein der Gefangenen als meteorologische Auswirkungen auf die Temperamente eine unerkannte Rolle, die in anderer Geschichtlichkeit durch Verstädterung und Technik zudem künstlich verändert wird. Der antiken Lehre von den Temperamenten ist die antike Lehre von den Elementen zugesellt, die ebenso im Höhlenleben zur Wirksamkeit kommt. Mit Blick auf das Höhlengleichnis hat das Philosophieren darüber keine Relevanz entfaltet und auch den großen Fortschritt in Bezug auf das Philosophem: „Mensch, erkenne dich selbst!“ individualistisch ignoriert. Wer ist der Mensch? So fragt auch Hegel in gottesbegrifflicher Abwandlung dessen, was Spinoza als „Natura naturans“, „Natura naturata“ und „Natura absoluta“ philosophiert hat: Der Mensch ist Natur von der großen Natur, aber Geistwesen, in relativer Selbständigkeit für sich, absolut in ganzheitlicher Übereinstimmung der Teile wahrheitsgemäß. Und so Hegel: „Von der Größe und Macht des Geistes kann der Mensch nicht groß genug denken; das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte“.
Wie sollte Selbsterkenntnis ohne Lichtwerdung gelingen können, die doch noch nicht in der Höhle ist und zunächst an Dämmern und Dämmerung denken lassen sollte, aber Anfänge kennt, Übergänge, die wechselweise durch Schlafen und Wachen gegeben sind. Und das Fluide der Temperamente entfaltet besondere Aktivität in der Innenwendung vor dem Einschlafen wie auch vor dem Aufwachen, der Übergang zur Außenwendung. Es lässt im anhebenden Halbschlaf wie im schon halbwachen Zustand geistige Aktivitäten aufblitzen und gären, die abendlich das äußerlich am Tag Durchlebte nach innen wegtreten und verdämmern und morgendlich das innerlich schon Vorweggreifende für den Tagesbeginn wie Geträumtes bis zum Augenaufschlag aufdämmern lassen. Und es entsteht für den Säugling in Symbiose mit der Mutter der Anfang einer neuen Geborgenheit, getrennt, doch im Wechsel von Schlafen und Wachen nun mit ihr, mit der Mutter magnetisch und „leiblich“ einander verbunden, in der Welt zu sein.
Was das Animalische und Menschliche angeht, beinhaltet das für das Menschenkind vielerlei, Phobien, die von der unbekannten und unvertrauten Umwelt ausgehen, dann das andere, das Wechselseitige, die Empathie, an der Mutter erlebt und gelebt, welche Bewusstsein für Zutrauen weckt, aber auch Abwehrreaktionen bezüglich der Gefahren und Bedrohungen (phobisches Moment) im Lebenskreis begleitet wie auch zu anderen Menschen (Lernmoment der Unterscheidung von Sympathie und Antipathie, das phobische Moment überlagernd und empathische erweiternd) weckt. Für die Lichtwerdung im Menschen nicht unwichtig zu wissen und sich bewusst zu halten. Hat Platon absichtlich einen Hinweis auf die mütterliche Bedeutung für den Säugling, für das Kleinkind unterlassen? Für die Philosophie besteht angesichts dieser Leerstelle erheblicher Nachholbedarf, sich für das Humanum der Geburtsstunde zu interessieren, auch das, was die ungetrennte Verbundenheit und Einheit im Mutterschoß dem Denken besagt und sich nicht mit einer obsoleten Ideenlehre als Resultat – eurozentrisch – schon am Ziel zu vermeinen, das doch vom Grund her noch plastisch bestimmt ist. Eine zusammengerückte Welt mit vielen differenten Kulturkreisen fordert zur Aufarbeitung übergreifender Strukturfindung des Gemeinsamen im Trennenden heraus. Die Relevanz wirklicher „Höhlenforschung“ liegt auf der Hand.
Den Quellgrund der Weltlage bloß verdrängt oder gar abgespalten zu halten, kommt einer Verweigerung der Frage nach den Ursachen gleich. Es kann vernünftigerweise keine konstruktive Umwandlung und Kompatibilisierung der vielfältigen Kulturgebilde geben, da durch Fortbestehen“ magnetischer“ Fixierungen immer wieder instinktiv und archaisch unaufgearbeitete Tiefenschichten durchschlagen, die nicht nur als krankhafte Erscheinung Einzelner oder kleiner Gruppen auftreten, sondern auch als natürliche Qualität aller sich zur ansteckenden Massenerscheinung auswirken können und den Geist der Vernunft in kriegerischen Verwicklungen untergehen lassen. Und solches Phänomen als ungelöstes Dauerproblem hinzunehmen, quantitativ gesteigert, qualitativ durch Nuancen und Facetten variiert, wäre die Spitze der Selbstzumutung an Dummheit. Als ein Spott auf Interpreten des Höhlengleichnisses ohne wirkliche Anstrengung einer Analyse der Höhle in ihrer vernünftigen Bedeutung, worauf doch das Licht der Sonne zielt, die Idee des Guten, worauf die Ideenlehre überhaupt bezogen sein sollte. Eine verkehrte Welt der Vertikale führt sich selbst vor. Es finden Anstrengungen für den Überbau statt, dem Geschosse und Fundament fehlen. Nicht minder muss dieser philosophische Blick zum Himmel auch heute noch das Lachen der Thrakerin ins Recht setzen und kann der Satire unterhaltsamen Stoff liefern, da der aufgeblasene Himmelsanspruch in Wirklichkeit vom schon kleinen Himmelsfenster, von treibenden oder stehenden Wolkenschichten verstellt, zum mickrigen Himmelsloch schrumpft und zu schicksalsträchtigen Himmelskarten verführt, zu untauglichen, desorientierenden und falschen Wegweisungen, die, seltener, lustig und komisch, sehr häufig jedoch, katastrophisch und tragisch enden. Fürs Komische mag das Lachen der thrakischen Magd zureichender Wink sein, fürs Tragische kann einem das Lachen nur noch im Halse steckenbleiben. Unbelehrbare, Ewiggestrige, dem Wahn Erlegene gibt es immer wieder. Eitle Philosophie-Angebote nicht ausgenommen.
EXKURS
Denken, ob schematisch oder begrifflich, das macht einen großen Unterschied. Das erstere ist statisch, kommt nicht von der Stelle, heißt auch trockenes Verstandesdenken, das letztere ist dynamisch, weiß um sein Woher und Wohin, gehört dem wirklichen Lebensfluss an, aktuell und reell. Über eine Auffälligkeit, mit der sich Dorothea Frede: „Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen“ authentisch zu Platons Verfassungsformen der Polis eingebracht hat, ist mir das von Hegel verknorrte Verstandesdenken in produktiver Weise bewusst geworden. Sie hat Platons Ausführung zum Verständnis der „Demokratie“, welche für Heutige die größte exponierte Wertschätzung und Vorzüglichkeit erfährt, nicht geteilt. Frede wertet Platons Auffassungsweise ab. Das hat mich gestört. Platon sei ein „Antidemokrat“. In heutiger Auffassungsweise richtig. Von Platons geschichtlicher Erfassung des Phänomens her jedoch unzulässig, wenn nicht auch die Masse der Bevölkerung, welche die Polis trägt, von ihr nicht wegzudenken ist, die nicht weniger das Volk des Stadtstaates in Zugehörigkeit ist. Platons Gerechtigkeitsbegriff ist nicht egalitär konzipiert, folgt in Bezug auf Innendifferenzierung der Polis einem Standesdenken, denkt poliszentrisch und kennt von daher auch nicht das, was mit Poppers Kritik die „offene Gesellschaft“ ins Spiel bringt, die allerdings Popper auch noch nicht im Sinne der „Egalité“ weltgesellschaftlich, vom Subsidiaritätsprinzip unterstützt, auf seinem Schirm hat. Meine Erklärung für das unreflektierte Werturteil: Fredes Wertschätzung geht auf die junge demokratische Bundesrepublik in ihrer Studentenzeit zurück, dann auf ihren Landeswechsel in das kosmopolitisch hilfreiche, tüchtige, erfolgreiche Land der Demokratie: USA. Ich teile diese Wertschätzung und bin auch wohl mehr unbewusst einer bloß gedanklichen Weise von Kreislaufmodell gefolgt, unmittelbar tatsächlich jedoch vom Paradox über die Demokratie begleitet: „Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." (Churchill) Der Unterschied zu Platon besteht indes zu heute darin, dass aus der Erfassung eines Phänomens eine Kategorie, ein Format, eine Verstandesauffassung einer Ausprägung abgefiltert worden ist, ein Idealtypisches als Behauptung, die den Diskurs von Anspruch und Wirklichkeit kennt und ihn mehr schlecht als recht besteht, im Diskurs Zusammenhänge mit den anderen Formaten wirklichkeitsfremd beziehungsweise wirklichkeitslos fernhält. Und es ist die Wirklichkeit selbst, die zum hybriden Zusammenhang und verwobenen Plural der Herrschaftsformen zurückführt.
Timokratie – Sparta – Anerkennungsstreben – Frugalität im Lebensstil – ehrgeizig
Oligarchie – Athen – Großinteressen regieren – Neid und Not der Prekären – geldgierig
Demokratie – Athen – Freiheitsentfaltung – Fragilität durch Tugendverlust – egozentrisch
Tyrannis – Syrakus – Machtwort stärken - Ängstigende Unberechenbarkeit – irrational
Wenn Dorothea Frede die weitere Entwicklung der jungen Bundesrepublik bis in das erste Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung verfolgt hat, müsste sie die Keime der sogenannten Staatsformen mit mehr oder weniger ausgeprägten Herrschaftsanteilen wiedererkennen können. Spartanische Anfänge, sozio-ökonomisches Wirtschaftswunderland, ethnozentrischer Weltexportmeister, vernunftloses Management der Kohäsionskrise und ideeller Steuerungsverlust in bloßer Symptombekämpfung aufbrechender und durchschlagender rechtsextremistischer Gefahr.
Die Bundesrepublik Deutschland als der „kleine Bruder“ gibt wie im Zeitraffer dem „großen Bruder“ USA ein Muster für den Abgleich der gedehnten Phasen einer hybriden Demokratieentwicklung an die Hand. Von den spartanischen Besiedlungsanfängen über den wirtschaftsgesellschaftlichen Aufschwung, dem athenischen Aufblühen nach dem Bürgerkrieg wie auch dann über machtpolitische Ausgriffe – mit Höhepunktsteigerungen – hinaus, gefolgt von selbstherrlichen Überforderungen eigener Kräfte und dem disruptiven Wechsel, hin zu einer unberechenbaren Weltmacht, einer Tyrannis durch sich verselbstständigende Drekretgewalt bloßer Machtausspielung.
Rücksichtlich der Entwicklung beider Bewusstseinsgestalten noch die unreflektiert nachlaufenden Reflexe aus den Anfängen, die zukunftsbedeutsam Gefährdungen zum Neuaustrag bringen. So haben wir den Gescheiterten der verbrecherischen Selbstüberhebung hier und den Entflohenen aus der Alten Welt da, die mit ihrer geschichtlichen Verstrickung und den blutigen Konflikten dem Leben überhaupt böse mitgespielt hat.
Der schuldbeladene Anfang Deutschlands, er stand vor den Trümmern und Ruinen und unmenschlichen Zeugnissen seiner machtpolitischen Selbstverfehlung. Es gab für die staatspolitische Existenz nichts zu leugnen, aber für die Überlebenden des höllisch veranstalteten Infernos viel zu verschweigen, das Sprechen über das eigene ins Verbrechen ausgleitende Mitlaufen und ehrgeizige Mitmachen zu unterbinden und sich der Behilflichkeit im Verschweigen und Weißwäscherei nicht zu versagen. Wie Unliebsame anderer Einstellungen im Führerstaat denunziert worden sind, kehrte sich in der Zeit der Entnazifizierungsverfahren die Argumentation um, dass man doch keinen aus dem eigenen Volk verrate. Und die umgehenden Ängste, als ein „Verräter“ oder Nestbeschmutzer bekannt zu werden, waren größer, als das Vertrauen in den Schutz durch die Besatzungsmacht. Die Hemmschwelle hat Karriere gemacht, nämlich nicht In-Group-Unrecht nach außen zu bezeugen respektive zu „verraten“. Recht oder Unrecht, gegen die Eigenen zu bezeugen, das geht gar nicht, ob aus der Familie, aus dem Betrieb, aus der Partei oder einer jeweiligen Zugehörigkeit heraus. Man appelliert an den guten Willen nach vorn, die Fragen nach der Wahrheit, nach Ursachen und Gründen interessieren nicht mehr, sind schon Schnee von gestern, sind Fragen für das Geschichtsbuch. Abstraktes Eingeständnis fällt wie das gemeinsame Schuldbekenntnis der Gläubigen nicht schwer, die konkrete Ohrenbeichte hat keine Relevanz mehr. Heuchelei, abschirmend eingekleidet, ist Methode geworden, besonders die der Parteisoldaten. Wahrheitslosigkeit regiert. Wahrheit ist zur Nachfrage der Geschichtsforschung geworden und erreicht die gegenwärtigen Menschen in fortschreitender Zerstrittenheit nicht mehr, in Verfallenheit der konkurrierenden Machtsteigerung dieser und demütigenden Prekarisierung jener.
Das Leben in beschleunigten Veränderungsprozessen geht weiter, kennt kein Innehalten, keine Trauer, flieht die Verlierer, Geschädigten, Genichteten, noch mehr die unzähligen Opfer in der großen Welt durch ihre Entrückung in die Gleichgültigkeit. Kein Volkstrauertag in Sack und Asche, vom wirklichen Schmerz bestimmt, nämlich darüber, sich selber verfehlt zu haben und anderen die Hölle geworden zu sein. Was bedeuten schon formelle Sonntagsworte der Trauer, die das Herz nicht berühren, am Insichgehen vorbei, ohne tonal ergreifendes und bewegendes Moll? In der Rückvergewisserung all der zurückliegenden Jahre geradezu das Kunststück des Gegenteils in der Auswahl musikalischer Einspielungen zu den Anlässen der Trauer: abstrakt, emotional steril und abtörnend. Was für eine Verkehrung, wenn ein KZ-Überlebender auf der Mundharmonika das Lied vom Kameraden und der Lili Marleen einem deutschen Nachtpublikum vorspielt. Lebensrettende Liedstücke auf der Mundharmonika, vom mordenden KZ-Personal gefühlsduselig begehrt. Das Nachtpublikum gebannt, ergriffen und gerührt. Vielleicht im Gedanken: Ja, damals, eine verdammt harte Zeit, für die Kameraden im Feld! Muss es nicht peinlich sein: Wie ergreifend vermöchte in der deutschen Erinnerungskultur die herzberührend verspürte Wehmut in Noten über den hingemordeten „Bruder Abel“ sein, die noch nie in der Welt vernommen worden ist? Ein Deutschlandweit der Authentizität würde schon reichen, um darin den Rechtsextremismus zu ersäufen! Diesen Entschlossenen der Hades-Bässe den Blick zu wenden, zur Lebensfreude und Regenbogenfarben hin. Woodstock hat der Sehnsucht nach „Peace and Freedom“ musikalische Zeichen gesetzt und die Deutschen haben das „Bruttosozialprodukt“ im Kopf gehabt und sich im Liedchen gesonnt: „Ein bisschen Frieden“. Sich selber friedlich vermeinend, und kontextfrei der Weltmeisterei hinterher, Zusammenhänge ignorierend: Auch wirtschaftlicher Wettbewerb kann kriegerisch sein, Tod und Verderben vieler nach sich ziehen.
Aus dem Wettbewerb der Systeme im Ost-West-Konflikt ist schon vor Jahrzehnten ein technologisch unterfütterter Wettbewerb um den Vorsprung in marktwirtschaftlicher Selbstbehauptung geworden, ein globaler Wettbewerb, der ruinöse Opferanteile und die bekannte Scherenöffnung des hochgesteigerten Reichtums und der kontrastierenden Armut samt terroristischer und kriegerischer Zwischenfälle kennt und in die Überforderung der naturgegebenen Lebensbedingungen geführt hat. Der angesagte Klimawandel hat bestätigende Anzeichen für die Umsteuerung gefunden, um der schleichenden Gefahrensteigerung zu entkommen und den lebensnotwendigen Einklang mit der Natur nicht zu verlieren. Doch das bedrohliche globale Rauschen ist nicht weniger geworden. Völkerwanderungen drohen. Gerechtigkeit und Solidarität unter den Völkern ist ein frommer Wunsch. Das Momentum der Selbstbehauptung verwickelter Interessenlagen hat in der Zerbrechlichkeit und in den Versuchungen der Macht hat zugenommen. Die Aufmerksamkeit ist negativ aufgeladen. Die Konditionen der Politik sind auf kurz eingestellt, entbehren der Strategie und setzen die Sichtfahrt fort.
Erinnerungsweise zum deutschen Modus: Es ist gegen das beispielhafte Begründen und Erfragen von Ursachen das Kurzzeitgedächtnis nach hinten und das nach vorn gerichtete tagespolitische Bezwecken umstandshalber entdeckt und praktiziert worden. Die staatspolitische „Kniebeuge“ vor den Opfern öffnete das Tor zur Anerkennung und Versöhnung im Umgang mit der unbeschönigten Wahrheit, die das überkommene Gegenteil im verantwortlichen individuellen und partikulären Umgang der Menschen und auch Rollenträger miteinander geworden und geblieben ist. Jedweder heikle Vergangenheitsabschnitt ist abgehakt und mit dem „Blick nach vorn“ dem Zugriff und der Auseinandersetzung entzogen worden. Die Fülle an Dokumentationen der Öffentlich-Rechtlichen in der vorgeblichen Sache, das Vorweisen und Demonstrieren, sich um Erinnerung zu bemühen, um der Wiederholung vorzubeugen, kann die Ambivalenz nicht verleugnen, die ohne eine Aufbereitung für die Katharsis in einer Aufreizung zur Wiederholung besteht, nicht Gewissen weckt, sondern Starkgefühle befeuert. Und so ist das deutsche Bewusstsein unmerklich vom „Nie wieder!“ zu Interessen in der Welt gekommen, die – o plötzliche Hybris – der entsprechenden militärischen Stärke für das Mitsprechen können auf Weltbühne bedürfen. Wie der große Bruder die UN nicht gegen sich anerkennt, so will der kleine Bruder sich auch nicht gebunden und prioritär eingebunden wissen. Unterschriften lassen auf sich warten.
Was die Neue Welt angeht, ist ja nicht nur die geschundene Menschennatur dem „Schlachthaus“ der Alten Welt entronnen, es ist in geringerer Zahl auch Verbrechergesindel vor den Häschern geflohen und hat im Überleben nicht weniger wesentlich vor den Herausforderungen der Landesnatur und den Autochthonen gestanden. Das Gottesbewusstsein, vornehmlich biblisch gespeist, als Identität und Zusammenhalt in den zwischenmenschlichen Beziehungen und im aufbauenden demokratischen Zusammenleben, insofern das, was feste Staatsinstitutionen heißt, noch erst auszubilden war, die den Keim der Vertragsbrüchigkeit mit Aufkündigungsgrund übernommen und üblen Geschäftsmännern nicht das Handwerk gelegt, sondern ihnen den Tribut der Relevanz mit neuen Rechtsgesetzen zu Lasten der Flora und Fauna und Indigenen gezollt haben.
„God’s own country“, zu groß für strenge staatliche und einheitliche Gesetze der kulturdifferenten Ausprägungen in Entwicklung. In anderer Weise hat im begehrten Zustrom an Menschen der Blick nach vorn bestanden, als ein Ausgreifen, Erobern und Bemächtigen, ein ständiges Leben und Wohlstreben mit der greifbaren Waffe, schnell zur Hand, sich des Gesindels oder eines Bandenunwesens zu erwehren, der Bürgerkrieg wie ein einmaliges Großereignis auf dem Weg in die volle Staatlichkeit, nicht den ständigen und unentrinnbaren Auseinandersetzungen und Konflikten europäischer Großmächte vergleichbar. Wenig Widerstand für den vorwärts trampelnden Riesen, der in ständiger Ausdehnung und Machtüberlagerung sein Herkommen als Entflohener eines Räderwerks wie auch den Grund für seine sich entwickelnde Neue Welt vergessen hat, in Freiheit und Zufriedenheit leben zu wollen und zu können. Er ist über sich hinausgewachsen, von wirtschaftlichen Expansionszwängen getrieben, hat sich durch seine machtpolitische Kraftentfaltung im Vermögen der Selbst-mächtigkeit überdehnt, erfährt sich nicht mehr unangefochten frei, sondern verwickelt, ja, sogar abhängig, für ein Zurückstecken, für Kompromisse und Rollenwechsel zu stolz und erfährt nun die globale Welt als eine Größe wie die Alte Welt, der die Auswanderer mit dem Aufbruch in die neue Welt entflohen sind. US-Amerika, es steht vor der Weichenstellung, mit autokratischem Kopf – als atomare Weltsupermacht tyrannisverdächtig – durch die Wand oder demokratisch nach innen und außen wie auch geschichtsbewusst in ein vernunftgeleitetes Zusammenspiel von Weltkräften zurück, in unabdingbarer Anerkennung der Beförderung des universell zu entwickelnden Wertezentrums von Natur – Welt - Mensch: UN! Die Führungsrolle in der Welt ist aufgekündigt worden. Aus dem Völkerbund in Genf sind die Vereinten Nationen in New York geworden. Die Geschichte als Weltgeschichte schließt den Wanderpokal neuer Mittelpunktfindung in der Welttektonik nicht aus.
Es sollte für Dorothea Frede der immanente Zusammenhang sich dynamisch einmischender Herrschaftskomponenten, liaisonwillig hinzukommend: Lobby und Medien (transferbedürftig: Chorgehör und Sehergabe), offensichtlich sein, dass sie vom rekonstruktiven Ansatz her ein trockenes Verstandesdenken betrieben hat, für die Selbstbefriedigung der philologischen Zunft, aber nicht für das „Leben“, für einen wirklichen Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Mein Punkt ist in Bezug auf den großen und kleinen Bruder zu verstehen, nämlich dass Fredes Text mit Blick auf die Schärfung des politischen Lagebewusstseins ohne Impulskraft ist. Wer aber aus Platons „Politeia“ das Buch IX liest, der bekommt große Augen, was ihm da exemplarisch wie ein Blick in den Spiegel der Gegenwart mit Aha-Effekt gegenübertritt und schon vor knapp zweieinhalb Jahrtausend zu Papier gebracht worden ist: „Werdegang des tyrannischen Mannes.“
Fredes Text vermag mit Zitateinschüben Aussagenstärke und orientierende Leuchtkraft zu gewinnen und die hochformative, jedoch selbstgenügsame Gedanklichkeit, die ohne das entscheidende „Wozu gut?“ ist, durch Zielpunkte zu verlebendigen und dynamisch auszurichten. Eine solche Lesart-Hilfe lässt Otfried Höffes „freihändiges“ Konstrukt einer neu unterfütterten Stufengestaltung im Polis-Aufbau nicht zu: „Zur Analogie von Individuum und Polis“. Verstandesdenken pur, kein Genügen nach jeder Zeitstufe hin: Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, eine Art Steinbruchdenken, die Oktopusarme bauen das Politeia-Gerüst zum willkürlichen Patchwork aus. „Anything goes!“ (Feyerabend). Die Frage der Brauchbarkeit des Textes müsste auf den bloßen Beispielcharakter für ein Brainstorming zielen, wie denn der entscheidenden Sache selbst – ihrem archimedischen Punkt - beizukommen ist.
Die Sache hat mit Heidegger zu tun, der den „Humanismus“ in Frage gestellt hat. Das nach Weltkrieg und Shoah! Mit der Hinwendung zu Kant und dem „ewigen Frieden“ allein ist da nicht gedient, Hegels philosophische Platon-Abfilterung muss wohl der Rezeptionsschwierigkeit und dem Mangel an weitläufiger Hegelkenntnis zugerechnet werden, um das verschlimmbessernde „Gedankenexperiment“ nicht direkt über die „Rechtsphilosophie“ Hegels laufen zu lassen, welche das Menschliche mit dem Keim der Freiheit beginnen lässt, welche rechtsphilosophisch durch den Imperativ gesetzt ist: „Sei eine Person und respektiere die anderen als Personen!“ So die objektive Geisteswirklichkeit, der die subjektive vorausliegt und die das neuzeitliche Denken von der Gattung Mensch her revolutioniert hat und die vorgängige bloße Theaterwirklichkeit auf den Punkt des Rechts und der Rechtswirklichkeit gebracht hat.
Ich habe schon zu Spinoza den Zusammenhang von schaffender und geschaffener Natur angeführt. Hegel hat ihn christlich aufgenommen und das Trinitarische neuzeitlich ausgesagt und weiß auch im theologischen Kleid den Urkern der Gedanklichkeit, vorausgehend die upanishadische Einfachheit von Brahman (Erdenwelt) und Atman (Selbst des Menschen). Im upanishadischen Denken gilt bezüglich der dritten Größe die „Erlösung“ vom Geist. Im christlichen dagegen geht es um die „Befreiung“ des Geistes, welcher der Mittler und Todesüberwinder und Geschichtenschreiber für „ Vater“ und „Sohn“ ist. Von Natur und Gattung Mensch, beide selbstständig gegeneinander, objektiv und subjektiv, die Wahrheit beider durch und für die lebendige Freiheitswelt, welche der Vernunft als ganzheitliche Übereinstimmung von naturgesetzlicher Notwendigkeit und menschheitlichem Freiheitsgesetz aufgegeben ist. Die Realisierung, welche den subjektiven Geist objektiviert, findet in der Rechtswirklichkeit der Freiheitswelt statt, welche zuallererst das Menschenrecht potentialiter ist, dem durch das Gesetz realiter Wirklichkeit und fortschreitende Verwirklichung zu verschaffen ist. Das sollten auch Philosophen im altphilologischen Arbeitsfeld wissen, dass der Vernunft die naturnotwendige und menschenwürdige Freiheitswelt für das Gesetzeshandeln obliegt.
In seinem „Anthropologie-Kapitel“ (Enzyklopädie III, TWA 10) fasst Hegel das Philosophem „Mensch, erkenne dich selbst“ radikal neu, führt neue Größen der Selbsterfassung ein und dekonstruiert sozusagen die ontogenetische Höhleninterpretation, relativiert sie als individuelle Horizontschrumpfung (isolated from the context), als eine Entität, die nicht ohne phylogenetische Substanz in der Wahrheit sein kann, schon gar nicht mehr neuzeitlich, vom Fundament der Naturwissenschaft her. Seinsphilosophie, die im 20. Jahrhundert von der phylogenetischen Einbettung her antike Urständ praktiziert hat, muss sich vorwerfen lassen, den von Hegel exponierten „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ wie auch die von der „Anthropologie“ her begründete „Humangenese“ in der aufgegebenen Bildung, welche die Phylogenese nur noch als Partikulargröße in sich einordnet, in philosophischer Selbstverdummung und Denkverweigerung missachtet zu haben. Ja, sie haben in Selbstgenügsamkeit durch eitle und hochintelligente Erzeugung neuer Unmittelbarkeit verhindert, um ins Höhlendunkel angesichts der ausgreifenden „Symbiose“ Licht und Helligkeit einkehren zu lassen. Wie einstmals sich das Stammesdenken gegen das Volksdenken festgehalten hat, so nun die Völkischen gegen die Gattung Menschheit.
Hegel hat den Begriff des „Homo Sapiens“ vom Stand des neuen Wissens her bestimmt, der dieser fortan ist als selbständige Größe des Geistes gegen die selbständige Natur, subjektiv, objektiv, weltlich reell. Das Gattungsmerkmal „Geist“ übergreift Rassen, Völker und Stämme und begründet die Menschheit an sich zur Realisierung ihres Fürsichwerdens in unendlicher Freiheit und Wahrheit. Der Mensch ist weder seinem Naturell animalischer Gebundenheit noch den Schwankungen der Temperamente unterworfen, sondern vermag sich einen festen Charakter zu geben und sich zur personalen Willensfreiheit in Rechten und Pflichten in der Lebenswelt zu erheben, aber auch im Absoluten des Bleibenden zu beständigen, bei Hegel: Ästhetik, Religion, Philosophie.
Das Denken, welches der vernünftig denkende Geist ist, er macht das Gattungsmerkmal, das Menschheitliche als Menschliches, das zu bewährende Humanum in Wahrheit aus. Das Absolute in Wahrheit offenbart das objektiv und subjektiv Bleibende in der ursprünglich symbiotisch hervorgebrachten und gelebten Welt der Vernunft, die in der "Höhle" ihren Anfang hat.