Heureka (Hegel-Jahr)
Die schwierigsten Dinge lassen sich einfach sagen, wie die Mathematik es formelreif zu sagen vermag. Und immer noch der alte Hegel mit seinem vielbekrittelten Satz, mir ein Wurmfraß geworden, noch nicht kurz und bündig die Erklärung für seine Sentenz von Vernünftigkeit und Wirklichkeit auf den Punkt gebracht zu haben.
Nun hat der Aha-Blitz eingeschlagen und einen Zusammenhang, eine Verbindungslinie erkannt. Ausgangspunkt ist Kant. Auch ich habe ihn gedankenlos nachgebetet, wie denn als Schlagwort so gesagt wird, hier, dass die Theorie stimmig sei, so wird versichert, dort aber abwinkend erklärt, dass sie für die Praxis nicht tauge, irgendwie plausibel, fällt doch häufig genug, das, was Theorie und Praxis angeht, wo nicht, räumlich und zeitlich auseinander.
Philosophisches Gedankengut à la Kant (noch immer) im Schwange. Schon Goethe hat dem nicht zugestimmt und hat dieses Verhältnis von Theorie und Praxis schlicht und einfach für die Mitmenschen auf literarischer Ebene korrigiert. Seine Sentenz lautet, das Denken und Tun die Summe der Weisheit sei. Für jeden einleuchtend. Das Denken wird durch das Tun geprüft und das Tun ebenso, ob es mit dem Gedanken übereinstimmt und von daher die Summe der Weisheit sein kann.
Hegel, sicherlich durch Goethe angeregt, nicht nur so dahin gesagt, ist der Einfall gekommen, nicht nur Kants Sentenz zu korrigieren, sondern auch in vergleichbarer Kürze auf philosophischer Ebene diese Wechselseitigkeit im Vorgang (!) und Gegenseitigkeit im Resultat (!) auf den philosophischen Satz zu bringen und zu exponieren. Sie wissen noch um den Satz aus der Rechtsphilosophie:
Was vernünftig ist, das ist wirklich;
Und was wirklich ist, das ist vernünftig.
Dieser besagt vorab, das Eine geht nicht ohne das Andere und umgekehrt. Die in Bezug Gesetzten gehören zusammen, wie rechts und links. Sie kennen sicherlich auch noch aus der Schulzeit für erörternde Aufsätze beispielsweise folgende Leitwörter, „Anspruch und Wirklichkeit und Annäherung in Bezug auf XY“? In solcher Themenstellung wäre zunächst der Prozess, eben gedankliche Schritte auf dem Weg zu einem Ergebnis, ausgedrückt, am Ende das, was Hegels Sentenz in Bezug auf den philosophischen Gedanken als schlussendliches Resultat ausdrückt, aber von den ungeübten Denkern missverstanden worden ist. Vielleicht nicht wegen der zu verstehenden intelligenten Weise eines kritischen Satzes der Philosophie, der nicht als formelhafte Verhältnissetzung erkannt worden ist oder auch nicht so im gesetzten Anspruch verstanden werden wollte! Für den Alltagsgebrauch von Goethe also die Personalunion von Denken und Tun einfach formuliert, unmittelbar einleuchtend, andererseits das gedanklich Komplexere für die Wissenschaft, bei der die „reine“ und „angewandte“ Disziplin nicht mehr zusammengehen, sondern beide eigene Wege gehen, sozusagen auseinanderfallen, von Kant nicht mehr als Denkherausforderung registriert, von Hegel aber philosophisch mit dialektischem Geltungsanspruch, darauf hinweisend, nämlich den unbedingten Zusammenhang zu beachten und ihn wahrheitsbedeutend darum nicht weniger eindrücklich verstehen zu müssen.
Zur Devise: Warum etwas kompliziert erklären, wenn’s einfacher geht, durch Reduktion von Komplexität!
Kurzformulierungen für Konsistenzprüfung
Merksatz: Das eine prüft das andere und umgekehrt – auf Übereinstimmung!
Das Denken prüft das Tun und das Tun prüft das Denken – auf Übereinstimmung.
Das Vernünftige prüft das Wirkliche und das Wirkliche prüft das Vernünftige – auf Übereinstimmung.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, nämlich dasjenige, was als wechselseitiges Prüfverfahren vorausgesetzt wird, aber bei Denkern, Theoretikern und Ethno- + Egozentrikern häufig genug die Wechselbeziehung vermissen lässt, ein Verharren im eigenen Sein für andere und anderes, ohne umgekehrt anderes geprüft und sich in andere versetzt und darin und von der Lage her das Zusammenhängende erkannt und gedacht zu haben, um in ein übereinstimmungsfähiges Sprechen miteinander überhaupt kommen zu können.
Wozu gut – sich so akribisch einer Sentenz zu widmen? Die Antwort: Der große Missstand durch Einäugige in Systemen von Abstraktheit und Indirektheit fordert geradezu solcherart Nachdenklichkeit und Einübung heraus, um diese Doppelstruktur für Erkennen, Wollen und Handeln automatisch zu machen und nicht mehr darum streiten zu müssen, einen arbeitsteilig aufgelösten Zusammenhang wieder zur wahrheitsbedeutenden Einheit zurückführen zu müssen. Etwas, das Schule und Wissenschaft und Politik wohl mehr als weniger fächerübergreifend wie interdisziplinär und parteiübergreifend versäumt haben.
Schlussendliche Debatten als Aufeinanderprallen der Positionen und das bloße Niederreden anderer oder selbstbezügliche Wegreden des Widersprüchlichen, Unschlüssigen und Ausgelassenen sind kein Ersatz für das, was sachliche Konsistenz, erlebte Konsensfindung und schlüssige Übereinstimmung der Teile des Ganzen neuerwirkt auf höherer Stufe heißt!!!