Deutschland im Wandel
Drei Trickser, die sich wie Kinder die Augen zuhalten und in die Runde rufen: Ihr könnt uns nicht sehen! Dann drei um sachliche Erörterung bemühte, die nicht registrieren, dass es weder um Werte noch um eine konstruktive Lösungssuche geht. Eine Moderatorin, wirklich gut vorbereitet, die nicht so streng sein will, nicht insistiert, sondern Zerfaserung und Ausflucht zulässt, sozusagen am Ende einem Halbkreis von Makellosen vorsitzt. Für das Publikum in der Wahrnehmung: Es ist für jeden etwas dabei und für alle ein Gefühl von Ohnmacht. Die da im politischen Sattel der Macht sitzen, machen, was sie wollen! Und hinzuzufügen wäre: Was für ein Provinztheater!
Deutschland in seiner politischen Nabelschau, die übrige Welt zur Restgröße an den äußersten Rand gedrängt und im medialen Oberstübchen flackern dann und wann eitel und hochmütig Blitze von einer europäischen Führungsrolle auf. Nicht auszudenken, was europäisch als Weimarer Theater, gemeingefährlich für die EU und die Welt, zu befürchten stünde! Dies vom Standpunkt der Wahrheit einer wertebewussten Gradlinigkeit aus gesehen. Vielleicht darum nicht richtig, als doch Lügen und Betrügen, das Spiel mit Fake News und Verblendungen das Weltganze beherrschen. Man möchte das Gute glauben, doch die Wahrheit im Nachhinein, wo hat sie nicht Lug und Trug aufgedeckt? Der Blick auf die deutsche Selbstbefindlichkeit 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Erinnern an die Shoah tut weh!
Das Brexittheater hat verblüfft, süffisanten Hochmut über den britischen Niedergang entstehen lassen. Nicht anders bietet sich die deutsche Posse der ‚Hochanständigen‘ und moralischen Imperialisten dar. Es ist doch nicht die AfD das Problem, sondern das Kleben an der Macht mit untauglichen und schnöden Mitteln. Von der ‚Rettung des Abendlandes‘ in Dresden angefangen, hin zum bayrischen Landestheater eines neuen christlichen Kreuzzuges aus wahltaktischen Gründen, nun die Weiterung zum äquidistanten Unvereinbarkeitstheater der CDU in Sachen AfD und Linke. Wo die AfD voll vom Leder nach Rechtsaußen zieht, den blonden Fascho hofiert, der lieber ‚Wolf‘ in Schafgehegen spielen will und animierend in demokratischen Gehegen einbrechend unterwegs ist, da ist zeitgleich die Resozialisierung der Linken nach wie vor nicht zureichend in den FDGO-Werten vollzogen. Ramelow ist über den Vergleich mit Filbinger erhaben.
Das Sensorium der Union ist selbstgerecht, von Machtklebrigkeit und Demoskopie, Schlitzohrigkeit und Wahlterminen getragen und bestimmt. Es geht um Machterhalt, nicht um demokratische Werte. Die SPD in der Koalition verrecken sehen und selber zu keinen Abstrichen bereit. Wo Grüne und SPD sich vom totalitären Unvereinbarkeitsgehabe verabschiedet haben, sucht die Union die Unvereinbarkeit anzustacheln, gibt sich als Brandstifter, um dadurch für sich Entlastung und Berechtigung in ihrem Tun und Lassen beim Wahlvolk zu erhalten. Die Heuchelei im Umgang mit der unbequemen Wahrheit ist notorisch. Der Fisch stinkt vom Kopf her, nur die Blende schützt vor offenem Umgang mit der Wahrheit aus Furcht vor dem Wähler. Es ist eine überkommene Furcht nach der Katastrophe, ein noch nachlaufender Reflex, diese Angst davor, reinen Wein einzuschenken, als noch Persilscheine gebraucht wurden, um dem Galgen zu entkommen. Heute in demokratisch verfasster Lebensordnung ist die Wahrheit im Verhalten aller für das Ableiten von Folgehandlungen überlebenswichtig, sollen daraus nicht desaströse wie auch allen gemeingefährliche Konsequenzen entstehen.
Was in der Gesprächsrunde nicht an Schlimmeres denken lässt, sich in mal hitzige Gefechte verliert, dann zur Atempause verflacht, mal zum unverständlichen Durcheinander wieder hochschaukelt, sich durchaus unterhaltsam ausnimmt, erliegt ohne Selbstreflexion auf das Wesentliche der flüchtigen Unmittelbarkeit, am Ernst der Sache vorbei. Wer Wolfgang Kubicki intensiver in seiner Standortbestimmung und Stellungnahme zu den Dingen beobachtet hat, der kann sich des Eindrucks nicht erwehren, einen vor sich zu haben, der sich als Profi bei Trump als Sprecher der Wirklichkeitsleugnung und Uminterpretation bewerben könnte. Im amerikanischen Wahlkampf wurden mit Blick auf Trump in verschiedenen Sendungen Physiognomiekundige zur Lesart der Körpersprache (Augen, Mimik, Gesten, Haltung) eingeladen. Ich denke, im Fall der Anne Will-Runde reicht ein bisschen lebenserfahrene Aufmerksamkeit aus, um sich die Bilder einer ausgezeichneten Kameraführung in Bezug auf Wolfgang Kubicki und Peter Altmaier anzuschauen, nicht nur je für sich, sondern auch, wie sich beide gegenseitig in ihren Äußerungen registriert haben. Was für Christian Hirte Konsequenzen nach sich gezogen hat, kann mit Blick auf Wolfgang Kubicki in der Rolle eines Bundestagsvizepräsidenten nicht weniger konsequent ausfallen. Seine Instinktlosigkeit und das sophistische Geschwurbel beschädigt die ‚Würde des Amtes‘.
Was Peter Altmaier angeht, ist er seiner eingeübten Vasallen-Rolle nun als Ausputzer zugunsten einer makellosen Union treu geblieben, welche sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Wie ein Pennäler, der auf alles eine entlastende Erklärung weiß und seinen Senf dazugibt, hat er sich den sogenannten Versprecher à la Freud geleistet, nämlich dass sich die Kombattanten ‚gemeinsam‘ verpflichten und mit dem ‚Tricksen‘ aufhören. Das ist wirklich unverfroren und unverschämt: Wir sind doch alle Sünder! Unerträglich ebenso das Abstreiten der ‚Unvereinbarkeit‘, die keine Äquidistanzposition sei und die doch nach wie vor die Linke für Kooperatives auf einer Landesebene ausschließt. Die Absage an Mike Mohring kam aus Berlin, der totalitären Unvereinbarkeit der Beschlusslage Folge zu leisten und, so zurückgepfiffen, den Sachverstand für das Land an der Garderobe in Berlin abzugeben. Irgendwie wird dadurch die Renitenz der Thüringer CDU ein wenig erklärbar. Was das Gewissen von Peter Altmaier betrifft, ist es recht grobmaschig. Da hat er eigene Maßstäbe. Ich denke an die 1000 Leerflüge von Bonn nach Berlin, die er nicht für das Klima zu canceln bereit war. Er hat seine Verdienste als ein Loyaler, aber nicht gegenüber der Vernunft, drum Auslauftyp, nicht wünschbar für politische Verantwortung.
Was Alice Weidel angeht, hat das Protokoll sie richtig erfasst, dass sie offensichtlich diese AfD-Höchstbeachtung für sich genossen hat. Das Perverse an dieser Situation besteht darin, dass sie in dieser Auseinandersetzung als das erfolgreichere Pendant in der Trickserei auftritt, ihre Gegenseite am Wickel des gleichen Schmierentheaters von Lug und Trug hat. Sozusagen: Hey, Ihr seid nicht besser! Von wegen. Sich als große Leuchten geben und dann wie belämmert als kleine Lichter überführt werden! Peter Altmaier hat in seiner satten Kritik an der AfD ins Schwarze getroffen, was da alles nicht in Ordnung ist, aber nicht die Finger gesehen, die auf ihn und die Union zurückzeigen: Wo leistet ihr das selber wirklich in D, in der EU und in der Welt?
Nicht zu vergessen, wer Faschist ist, wer so genannt werden kann. Klimmzugbedürftig, nicht nur Alice Weidel, auch Wolfgang Kubickis positivistisches Verständnis, was den abstrakten oder übertragenen und den konkreten Sinn angeht. Vor der Sprachreform ein noch eingeübtes Muster: Im trüben fischen (geistig), im Trüben (konkret) fischen. Eichmann ist ein geistiger Schreibtischtäter gewesen, nicht einer im Erschießungskommando und in dieser Weise viele hohe ‚Tiere‘ mehr, die sich nicht konkret die Hände schmutzig gemacht haben. So auch Höcke im unheiligen Geist der NS-Zeit. Auf Alice Weidel bezogen, was die Nazi-Schlampe betrifft, doch nicht als eine, die da wie eine Dirne mit ausgewiesenen Faschos rummacht, aber eine, die sich im übertragenen Sinn mit Fascho-Vertretern einlässt und aus diesen Akten Gedanken prostituiert.
Zurück zum Ausfall höherwertigerer Herausforderungen. Der Stillstand in der Regierung ist doch mit den Händen zu greifen. Was zusammengehört, auch wenn es Befremden auslöst: Flüchtlingspolitik, Made-in-Germany-Krimi und US-Regierungswechsel, gänzlich unverdaut, sind der Kanzlerin tief in die Knochen gefahren und haben sie für größere Entscheidungen zum gebrannten Kind gemacht, das sich nicht mehr traut. Zu recht. Alles hat seine Zeit, neigt sich dem Ende zu. Der Kontrast macht sichtbar. Was die Grünen an Frische und Zuwachs für den ökologisch-ökonomisch-sozialen Umbau einspielen können, ist den Regierenden verloren gegangen. Die Christlichen haben nicht einmal Franziskus mit ‚Laudato si‘ auf ihren Schirm von Inspiration geholt und zu weiterer Kommunikation ausgewalzt! Demnach sieht auch im Vergleich das sogenannte Paket des Regierungsprogramms gegen den Klimawandel aus. Kein neues Lebensgefühl mit Anleihe bei Franziskus, den sogar die Sozialdemokraten auf den Schild heben würden. Das Regierungsamtliche ist nicht einmal ein Impuls für eine Aufbruchsstimmung, sondern kommt wie eine lahme Beschwernis daher und verdirbt die Lust auf Zukunftsgestaltung. Die Gesprächsrunde ist wie ein Spiegelbild auf Hoffnungslosigkeit, im Treibsand gefangen.