Das Boot
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Passt ja wie bestellt in den aktuellen Kontext neuer Kriegsgefahr hinein und streichelt die Seele der heldenhaften U-Boot-Vergangenheit, die das Kriegsgeschehen dem tödlichen Schicksal durch skrupellose Generalität und Führerpolitik ausgeliefert hat. O ja, heute ist alles anders, haben wir doch eine Parlamentsarmee und müssen nicht auf ein „Gott mit uns“ für die Soldaten setzen, sondern können auf Demokratie und sogar auf eine „Verteidigungsministerin“ für die „Bürger in Uniform“ verweisen. So lässt sich naiv der Film „Das Boot“ in einer gewissen Wehmut genießen und wem danach ist, dem kann auch noch mit dem anschließenden Doku-Flair gedient werden: So isses gewesen! Nicht wirklich. Im Gegenteil. Wofür das „Boot“ steht, darüber wird nicht aufgeklärt.
Es geht nicht um den sattsam bekannten Führer, seinen Propagandisten und die sichtbaren Generale an der Spitze, sondern auch um den unsichtbaren Schreibtischtäter der Massenmordorganisation, der Ausrottungsmaschinerie von Menschen, die der Vorsehung nicht ins Bild einer Herrenrasse passten, um als Herrenvolk in der Welt zu überleben: Survival of the Fittest! Auch der Philosoph Heidegger ist in den Verdacht geraten, an der deutschen Geschichtskatastrophe mitgestrickt zu haben. Und das ist der Brückenschlag zum Film, der gleichnishaft für die von Heidegger vertretene „Existenzphilosophie“ stehen kann, eingeübt durch das, was den Lebensentwurf eines Jeden im Vorlauf auf den eigenen Tod hin betrifft.
Journalisten haben den schweigsamen Heidegger über sein Tun und Lassen im „Dritten Reich“ zum Sprechen bringen wollen, auch Rudolf Augstein, doch Heidegger hat sich nicht beirren lassen. Sinngemäß: Ihr wollt von mir ein Geständnis hören, um mich in Verantwortung und Zurechenbarkeit für eine Anklageschrift zu bringen. Warum sollte ich mich, der ich doch schon geständig gewesen bin, der ich meinen Holzweg offen dargetan habe, noch selbstanklägerisch bekennen? Für ihn kam nicht in Frage, sich einem dummen öffentlichen Geschrei von Schlagzeilenlüsternheit auszuliefern und er zog sich auf die Position zurück: Was werft ihr mir denn vor? Mit Blick auf Nietzsches menschenverächtliche Steigerungen in der Textproduktion keine Schwierigkeit, bei Heidegger jedoch schon. Sie kommt so unauffällig daher wie der Film samt Doku und dieses Arrangement hätte schon von Kants wesentlichem Statement her erkannt werden müssen, nämlich was es bedeutet: Anschauungen ohne Begriffe sind blind und Begriffe ohne Anschauungen sind leer.
Für Heideggers Existenzphilosophie war das Anschauungsfeld die Erfahrung des I. Weltkrieges und der nationalsozialistische Weg aus der deutschen „Seinsvergessenheit“. Wer seinen Text: „Nietzsches Wort ‚Gott ist tot‘“ (aus: „Holzwege“) im Abgleich mit der Parallelstellung vom ereignisreichen „deutschen Erwachen“ im Nationalsozialismus liest, vermag den geistigen Kathedertäter zu erkennen, der in sublimer Sprache das Menschheitliche auf kollektive Vernunftgröße für einen gedankenreinen Neuentwurf der Herrenrasse reduziert und sprachfähig gemacht hat. Heute äußert sich diese reduzierte Vernunftgröße des Menschheitlichen als nationalstaatliches „America First“ einer gemeingefährlichen US-Politik und wir Deutschen sehen verschämt zu und denken nur in der Kategorie wirtschaftlicher Selbstbetroffenheit und lassen anbiedernd auch eine zunehmende Remilitarisierung geschehen.
Eine Parlamentsarmee für eine Politik ohne öffentlich bekundete kritische Welthaltung, noch weniger als die Opposition der US-Demokraten gegen die Politik des Präsidenten ins Feld führt!? Und die Fernsehverantwortlichen für den Film „Das Boot“, die zuschauergeil und unkritisch, weil in der Ambivalenz von Instrumentalisierbarkeit offen, sich wie eine Hure beliebig an Machthaber und Entscheidungsträger mit wollüstigen Zuschauerzahlen ranwerfen. Vielleicht geht doch noch ein Dämmerlicht der kritischen Vernunft und der Courage auf, zur menschheitlichen Vernunft zu stehen und nicht gegen Arbeitsplatzverluste, Geschäftseinbußen, Schwierigkeiten des Management, politische Belastungen u.a.m. zu verrechnen und von Vornherein den Vorrang von Diplomatie und Subsidiarität und den Schneid, dafür zu streiten, preiszugeben.
Der Krieg folgt seiner eigenen Logik, nämlich sich einem verdinglichten Funktionieren bis zur Entscheidung ausgeliefert zu sehen. Und der Krieg als GAU fällt nicht vom Himmel, kennt Interessen und Ambitionen im Vorfeld, denen wir folgen oder auch nicht. Wofür zeigen wir Flagge? Das ist die Frage und der Film „Das Boot“ samt bisheriger Doku ist keine Antwort darauf, eher ein Animierstück für unkritisches Verhalten. Die Belebung des Haftungsprinzips nach Recht und Gesetz für politische Kriegsverbrecher fehlt. Das „Nürnberger Kriegsverbrechertribunal“ hat noch keine nachhaltige weltöffentliche Schule gemacht. Der alte Spruch gilt noch, ist zwar angeknackst, aber sucht sich zu behaupten. Macht geht vor Recht. Machtverloren: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.
ANNOTATION
Auch ein ehrenwerter Claus Kleber als ZDF-Fernsehmoderator ist nicht vor dummen Patzern gefeit, hier was den 2. Teil der Fernsehreihe: „Das Boot“ als „packende“ Abendfortsetzung angeht. Mehr nicht. Kein weiteres Wort der Intonation. Ich glaube dieses attributive Genügen Klebers mit Blick auf den Abend-Film zu verstehen und hoffe, dass es nicht eine Vorwärtsverteidigung gegen die Schelte der ZDF-Verantwortlichen für die unkritische Präsentation dieses Films war.
Es mag sein, dass die geäußerte Kritik als unberechtigt empfunden worden ist. Solche Positionierung ist möglich, doch sie wäre ein Anzeichen für eingetretene Selbstverdummung, denn es geht um ein zentrales Ungenügen im gegenwärtigen Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland, das auf dem Prüfstand mit Selbstzerreißungsanzeichen steht. Insofern ist es nicht gleichgültig, in welcher Weise der packende Film aufgefasst wird und die Gemüter bewegt. Mag sein, dass Kleber nicht gesehen hat, dass der Film nicht nur pazifistische Abwehrreflexe auslöst, die er sicherlich mit dem U-Boot-Deal, mit einer verdeckten Kapitalismuskritik bezogen hat, sondern auch neue rechte Nassforsche kennt, die nach schmissigen und schneidigen Bewährungssituationen in Uniformen gieren. Wie auch immer, jeder Zuschauer nimmt sich aus dem unbegleiteten Film das heraus, was ihm subjektiv wichtig ist. Und diese Beliebigkeit ist Problem in einer ernsten Sache und kontextuell im Fortgang gesellschaftlicher Reibungskonflikte mit Lokalbeschränkten und global Gesellschaftsoffenen. Ein Dilemma, das der Film allein nicht aufzulösen vermag. Es fehlt ein gemeinsames Narrativ, das nicht mehr gottgegeben ist.
Im Wesentlichen geht es also um das fehlende Narrativ, um das Defizit, um das Loch im gegenwärtigen Selbstverständnis und Weltbewusstsein, um das, was gesellschaftlich nicht mehr durch kirchlich-religiöse Bindekraft gemeistert wird und medialer wie staatlicher Verwahrlosung preisgegeben ist. Eine Verständnisbrücke aus didaktischer Sicht liefert im religiösen Vermittlungsprozess der Zusammenhang von Kerygma (Verkündigung) und Didache (Unterricht). Weltlich für den Politikunterricht verstanden: Wie erreiche ich die Tiefenschicht der Lernenden, um beispielsweise die unwillkürliche Hackordnung auf dem Hühner-hof, als die sie auch im Alltagsleben der Menschen und nicht nur auf dem schulischen Pausenhof existiert, zu durchkreuzen und Abwehrkräfte zu mobilisieren und Aufgeschlossenheit für menschliches Miteinander zu erzeugen? Das unterrichtliche Voraus für einfühlsame Identifikation und mitmenschliche Öffnung ist weder das Grundgesetz noch sind es göttliche Gebote oder Vorschriften, sondern hier ist es die Präsentation und das einprägende Erlebnis mit Nachbesprechung zum Märchen vom hässlichen Entlein, um die mitfühlende Seele erreichen zu können.
Ich sehe schon das vielleicht milde Lächeln der Fernsehverantwortlichen, dass sie sich durch solches Bei-spiel nicht getroffen wissen und sich nicht in der Gefahr von verführerischer Mittäterschaft gegenüber den herrschenden Machtverhältnissen wähnen, stattdessen ihre Pluralität für angebliche Meinungsfreiheit mit verantwortungsloser Beliebigkeit verwechseln. Letztere dann gegeben ist, wenn selbst Werte wie Fähnchen im Winde flattern und vor lauter Hin und Her sich zu bekämpfen beginnen und Desorientierung auf die nackte Selbstbehauptung zurückfällt: Mit Gott gegen den gleichen Gott der anderen! So ist es bislang gewesen und es sieht nicht danach aus, dass solcherart Selbstgewissheit schon wesentlich überwunden wäre. Für Gott können wir auch Völkerrecht oder andere hehre Größen einsetzen. Mit welchem Narrativ erkennen wir, bevor wir an all die einzelnen Bürger denken, die herausgeforderte Politik im Umgang mit Selbstzumutungen, ihren aufrechten und wertebewussten Gang, ihre Selbstachtung und Würdigkeit, ihre Authentizität? Negative Imperative: Andere die Rechnung der Natur bezahlen lassen. Right or wrong, my country! Sind wir Lebenshüter anderer Völker? Die Welt ist fürs Menscheln zu groß! Wir sind uns Herausforderung genug! Wo haben wir über ein Set an einfachen Leitbegriffen erzählbar für die uns angemessene staatliche Lebenswirklichkeit nachgedacht, um über gemeinschaftliche Leitorientierungen reflexhaft verfügen zu können? Im Ernst: Es ist nichts außer Wunschdenken, Forderungen und vagabundierendes Traktieren, Delegieren und Verweisen auf Verschüttetes, Überlagertes und noch zu Bergendes da.
Der Film „Das Boot“, ein Kriegsfilm, ist kein wirklicher Aufklärungsfilm, um Lehren daraus zu ziehen. Denn er lässt das Wichtigste aus, das er schon mit dem „kapitalen“ U-Boot-Deal, der militärischen Mitleidslosigkeit und der primitiven wie grausamen Unmenschlichkeit aufgeklärt glaubte, Symptome. Nicht des Pudels Kern. Das Ursächliche und Wesentliche. Und ich bin wieder bei Heidegger samt Nietzsche, nicht als Ursache, aber als Anhaltspunkt, um verstehen zu können. Es hat auch im II. Weltkrieg noch den anderen Geist gegeben, nicht nur Faschismus, Führerkult. So beispielsweise das „Kant-Brevier“ von Johannes Pfeifer für Soldaten im Feld, ein Kant, allerdings der Lächerlichkeit mit seinem Menschheitsbekenntnis preisgegeben, gegen Starkworte Nietzsches konkurrierend, die mit Heidegger-Vorlesungen Meinungsführerschaft im Reich innehatten. Feiner und poetisch kristallin die Hölderlin-Fibel, vom antiken Geist inspiriert, für die Soldaten im Feld ausgegeben, größter Vertreter des angebräunten Hölderlin in der Zeit: Heidegger. Mit ihm sozusagen eine Nazi-Entdeckung, hoch und rein, instrumentalisiert für arischen Neuentwurf und germanische Herrenrasse in Soldatenhand.
Von nichts kommt nichts. Und Wegfall einer miesen Indoktrination kann nicht Streichung einer selbstbewussten Orientierung überhaupt bedeuten. Das „Kant-Brevier“ kann nach wie vor eine echte Lebenshilfe sein. Doch es fehlt ihr jene berührende Eingängigkeit und das sprachliche Design, eben die Dichtergabe eines Hölderlins. Es gibt literarische Besprechungen zuhauf und eine sagenhafte Fülle an Klugschwätzerei, aber kein Angebot und keine Nachfrage nach dem, was Deutschland einstmals zum Land der Dichter und Denker gemacht hat. Für welche Werte, die unser Herz berühren und unserem Verstand Geistesgegenwart verleihen, stehen wir heute! Auf welche Narrationen und literarischen Musterbilder können wir verweisen, die uns bei ihrer bloßen Intonation schon eine selbstbewusste Lesart – hier des Films „Das Boot“ sind!?